Elaine ohne Kind

Über den Abschied vom Kinderwunsch und das Leben danach

Sonntag

19

November 2017

Eigentlich geht's uns gut

von Elaine, über Ungewollte Kinderlosigkeit, Heilsam, Hoffnung

Letzthin traf ich eine liebe Freundin. Ihr Mann kümmerte sich um die Kinder, damit sie einen Tag mit mir verbringen konnte. Nur wenige Menschen haben sich auf diese Weise Zeit für mich freigeschaufelt in den letzten Jahren. Das ist nicht selbstverständlich, und ich weiss es sehr zu schätzen.

Wir verbrachten einen schönen Tag zusammen, schlenderten durch die Stadt, tranken Kaffee, assen leckeren Kuchen und brachten uns auf den neusten Stand.

Es wurde Abend, und wir gingen essen, bevor meine Freundin auf den Zug musste. Da fing es an. Die Augen meiner Freundin wurden schwer. Sie gähnte. Und sie sah echt müde aus. Was verständlich ist in Anbetracht ihrer Umstände. Es ist nämlich so: Sie schläft seit Jahren sehr wenig wegen der Kinder, die sie nachts wecken. Im Prinzip ist sie dauermüde. Selbst im Urlaub sind die Kinder oft krank, so dass auch dieser alles andere als erholsam ist. Und dann hat meine Freundin noch einige chronische körperliche Folgen der Geburten zu tragen, die nicht gerade erfreulich sind.

Die Elaine von vor ein paar Jahren hätte die Freundin trotzdem benieden. Sie hätte sich gedacht: wie gerne nähme ich diese Falten, diese Müdigkeit auf mich, wenn ich nur Kinder hätte. Oder: na, wenigstens hat die etwas (nämlich Kinder) für ihre körperlichen Beschwerden, wogegen meine immer noch unangenehmen Souvenirs an Operation und Behandlungszeit quasi für die Füchse sind….

Heute ist das anders. Ich empfand Mitgefühl für meine Freundin. Ich achtete darauf, dass es nicht zu spät wurde, weil ich sah, dass es ihr daheim im Bett vermutlich am wohlsten wäre. Als ich nach Hause kam, sagte ich zu meinem Mann: eigentlich geht’s uns schon gut. Wir können nachts meist ungestört schlafen, weil uns niemand weckt. Im Urlaub erholen wir uns, weil wir nur das zu tun brauchen, was uns gut tut und worauf wir Lust haben. Keine kranken Kinder! Wir brauchen uns auch keine Sorgen um die Schulnoten des Nachwuchses zu machen. Und ich als Frau muss mich nicht darüber ärgern, dass die Emanzipation der Frau mir nun doch nicht ganz ALLES ermöglicht. Weil es zumindest hier in der Schweiz immer noch die Frau ist, die zugunsten der Familie meist zurückstecken muss. Weil der Mann besser verdient oder weil er nicht Teilzeit arbeiten kann oder will. Weil es keinen Vaterschaftsurlaub gibt und nur die Frau ein paar Wochen freibekommt. Alles Punkte, die meine Freundin beschäftigen. Ihr Leben ist im Prinzip alles andere als optimal, weder gesundheitlich noch psychisch, obwohl sie genau das hat, was ich mir immer gewünscht hatte: Kinder.

Tauschen will ich nicht mehr. Dafür bin ich dankbar. Auch dafür, dass ich plötzlich SEHE, wie gut es meinem Mann und mir eigentlich geht. Wir sind im grossen Ganzen gesund. Wir geniessen viele Freiheiten und haben die Möglichkeit, noch einiges in unserem Leben zu verwirklichen, wenn wir das wollen.

Das nahm ich nicht immer so wahr. Eine Weile lang wusste ich das überhaupt nicht zu schätzen. Weil die Trauer im Vordergrund stand, die erst verarbeitet werden musste. Das macht es umso schöner, dass ich die Vorteile eines kinderlosen Lebens JETZT erkennen kann. Und zwar nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit dem Herzen.

Übrigens: mein Mann war einverstanden. Eigentlich geht’s uns ziemlich gut.

Foto: Elaine

Elaine

lebt in der Schweiz. Sie liebt die Natur, besonders im Frühling. Sie mag Spaziergänge, Wanderungen, die Berge, das Meer, Bücher, Kunst, Flohmärkte, Brockenhäuser.

Um anonym zu kommentieren: Kommentar schreiben, Pseudonym und E-Mail in die Felder eintragen und bei "Ich möchte lieber als Gast schreiben" das Häkchen setzen.


Copyright 2016 by Elaine