Elaine ohne Kind

Über den Abschied vom Kinderwunsch und das Leben danach

Donnerstag

6

Juli 2017

Fruchtbar

von Elaine, über Reproduktionsmedizin, Ungewollte Kinderlosigkeit, Heilsam

Wenn ich so zurückdenke, hatte ich ziemlich grosses Glück. Keiner der Ärzte, bei denen ich im Laufe der Jahre im Zusammenhang mit unserem Kinderwunsch in Behandlung war, hat sich allzu grob ausgedrückt. Die meisten waren recht behutsam. Nur eine einzige Ärztin war in diese Kunst wohl (noch?) nicht eingeführt worden: eine junge Assistenzärztin, die bei mir damals die Voruntersuchung für die Operation durchführte. Unter anderem rief sie die Oberärztin an, weil sie eine Auskunft brauchte. Ich sass daneben und hörte mit, wie sie von mir als “Unfruchtbarkeits-Patientin” sprach. In der ganzen Aufregung des Untersuchs war das nur ein Detail von vielen, es ging mir jedoch sehr nach. Rückblickend bin ich dankbar dafür, dass im Allgemeinen der Begriff “Kinderwunsch” benützt wurde und nicht oft von Fruchtbarkeit und Unfruchtbarkeit die Rede war. Jedenfalls bei mir, ich weiss nicht, wie das bei Euch war?

Wie auch immer, das Wort “unfruchtbar” sollte noch lange in mir nachhallen. Denn es klingt so negativ. Ich fühlte mich dadurch irgendwie minderwertig. Als wäre ich abgestempelt: die ist unfähig.

Viel später - ich hatte begonnen diszipliniert laufen zu gehen, meiner Gesundheit und Psyche zuliebe - kam ich auf einer Joggingrunde an diversen Gemüse- und Getreidefeldern vorbei. Es hatte auch ein paar wunderschön blühende Kartoffelfelder. Da mich das Wort Fruchtbarkeit so sehr beschäftigte, betrachtete ich die Pflanzen ein wenig unter diesem Aspekt. Mir fiel auf, dass manche ihre Samenstände sehr offensichtlich zur Schau tragen. Ein Gerstenfeld, das seine Ähren im Abendwind wiegt, ist ein wunderbarer Anblick. Und die Frucht steht ganz oben: das Korn. Anders ist es da bei den Kartoffeln. Sie blühen wohl über der Erde, aber das wirklich Wichtige passiert unter der Erde. Die Kartoffeln, die wir essen, muss man erst ausgraben. Die Kartoffel ist somit eine recht versteckte Frucht, wenn man so will.

Auf einmal konnte ich mich sehr mit der Kartoffelpflanze identifizieren. Nach aussen bin ich - jedenfalls medizinisch gesehen - vielleicht nicht fruchtbar. Ich bin kein Apfelbaum, der seine rotwangigen Früchte stolz zur Schau trägt. Oder anders gesagt: ich schiebe keinen Kinderwagen vor mir her. Aber was genau bedeutet Fruchtbarkeit eigentlich? Beinhaltet es nur das Sich-Vermehren? Oder gibt es nicht noch andere Früchte in einem menschlichen Leben? Könnte es sein, dass auch meine Früchte reifen, nur im Versteckten? Es mögen ungeahnte Talente sein, vielleicht Weisheit durch all das Erlebte, Fürsorge gegenüber anderen, eine ganz andere Schönheit, die niemand sieht, die es aber noch zu entdecken gilt. Liebe, kleine Taten der Rücksichtnahme und Zuneigung, ein freundliches Wort, Verständnis. Und wer weiss, was ich im Laufe meines Lebens noch alles tun werde? Vielleicht bleibt davon keine Frucht aus Fleisch und Blut. Aber ich hoffe und wünsche, dass mein Leben doch fruchtbar sein wird, wenn auch auf eine andere Weise.

Das Wort “unfruchtbar” hat inzwischen seine Macht über mich verloren. Vielleicht hat die Trauer hier geholfen und mich ein Stück weit geheilt. Mein Leben verfügt inzwischen über neue Aspekte. Ich fühle mich wieder fruchtbar. Vielleicht nicht im medizinischen Sinne, aber mit dem Herzen, dem Intellekt. Auch das hat für mich eine Qualität. Ganz ehrlich: Kartoffeln sind doch superlecker, oder nicht? Ich kenne zum Beispiel niemanden, der keine Pommes mag. Oder eine leckere Rösti, hmmm… Und so bin ich jetzt ganz zufrieden. Meine Früchte glänzen nicht so fröhlich und knallig vor sich hin wie diejenigen der anderen. Aber das würde - ganz ehrlich - sowieso nicht so richtig zu mir passen ;-).

Foto: Elaine

Elaine

lebt in der Schweiz. Sie liebt die Natur, besonders im Frühling. Sie mag Spaziergänge, Wanderungen, die Berge, das Meer, Bücher, Kunst, Flohmärkte, Brockenhäuser.

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