Elaine ohne Kind

Über den Abschied vom Kinderwunsch und das Leben danach

Donnerstag

11

Januar 2024

Der Kippschalter

von Elaine, über Ungewollte Kinderlosigkeit, Gesellschaft

Ihr Lieben,

zuerst wünsche ich Euch alles Gute fürs neue Jahr!
Seid Ihr angenehm gestartet?
Bei mir war der Wiedereinstieg nach den Weihnachtsferien überraschend sanft, wofür ich dankbar bin :-).

Heute möchte ich etwas thematisieren, was mich seit Jahren verwirrt.

Vielleicht habt Ihr schon Ähnliches erlebt: liebe, uns nahestehende Menschen, die genau wissen, welchen Weg wir hinter uns haben und viel Verständnis zeigen, sind wie ausgetauscht, sobald sich bei ihnen selbst Nachwuchs ankündigt.

Ein Beispiel ist meine Schwester. Da sie ebenfalls unter Endometriose leidet und meine Geschichte sehr gut kennt, war ich davon ausgegangen, dass sie im Falle einer Schwangerschaft rücksichtsvoller als andere mit mir umgehen würde. Leider war dem nicht so. Im Gegenteil: gleich zweimal innert kurzer Zeit durfte ich mir zu Tisch ihre Klagen darüber anhören, dass sie aufgrund der Schwangerschaft keinen Wein trinken durfte. Nun finde ich, sie kann sich darüber beschweren, soviel sie will. Es gibt ja genügend fruchtbare Menschen auf dieser Welt. Aber dies gegenüber einer Frau zu tun, die keine Kinder haben kann und Jahre gebraucht hat, um damit klarzukommen, ist nun doch etwas taktlos.

Es gibt noch andere solche Fälle. Meine aktuell schwangere Schwägerin, ausgebildete Psychologin, postet die Resultate jedes einzelnen Vorsorgeuntersuches ausführlich in unserem Familienchat. Nun freue ich mich über ihre Schwangerschaft. Ich werde auch dankbar und froh sein, wenn die Geburt heil überstanden ist und es allen Beteiligten gut geht. Aber ich brauche nun wirklich keine Details, Ultraschallbilder und dergleichen ungefragt im Familienchat zu erhalten. Mein Bruder ist über meine Fehlgeburt im letzten Jahr informiert. Denn es ist ja schon so, dass diese manches bei mir wieder aufgewirbelt hat, was ich längst verarbeitet glaubte. Ich bin vielleicht empfindlicher, als ich es in den Jahren davor gewesen war. Trotzdem: mir scheint, sobald jemand selbst in der Familienglück-Blase steckt, verpufft jegliche Empathie. Es ist, als hätte mein Bruder nie davon erfahren, als befänden sich in unserem Familienchat nur glückliche, fruchtbare Menschen.

Was mich zu meiner Theorie bringt: ich vermute nämlich, dass die Schwangerschaftshormone wie ein Schalter wirken. Nur so kann ich mir erklären, wie aus eigentlich einfühlsamen und rücksichtsvollen Menschen solche werden, denen ich als ungewollt Kinderlose lieber aus dem Weg gehe. Nicht wegen ihres Kugelbauches, sondern wegen ihres Verhaltens!

Hormone können mächtig sein. Das wissen wir aus der Pubertät. Ich beobachte es jetzt auch bei Frauen in der Perimenopause. Vielleicht werden Schwangere derart mit Hormonen überflutet, dass sich ihr Denken und entsprechend auch ihr Handeln verändert? Für mich ist das die einzige Erklärung, die ich finden kann, selbst nach langjähriger Erfahrung mit solchen Situationen. Natürlich befinden sich werdende Mütter in einer aufregenden Lebensphase. Und die Gesellschaft freut sich in den meisten Fällen ja auch sehr gerne mit. Nur scheint mir, dass wir, diejenigen, die “leer ausgegangen sind”, dabei vergessen gehen. Ich weiss zum Beispiel, dass meine Mutter sich sicherlich für die Resultate der Vorsorgeuntersuchungen interessiert. Nur brauche ich das doch nicht auch noch alles mitzulesen!

Übrigens: im Familienchat lösche ich diese Nachrichten umgehend, natürlich nur für mich. Und danach stelle ich den entsprechenden Chat auf stumm, weil ja unweigerlich glückliche Reaktionen aus der Familie auf solche Nachrichten folgen.

Meine Schwester mit den drei schulpflichtigen Kindern ist die einzige, die sich dazu Gedanken gemacht hat, vielleicht, weil sie selbst vor Jahren zwei Fehlgeburten hatte und die “andere Seite” aus eigener Erfahrung kennt. Aber es ist natürlich nicht an ihr, meinen Bruder darauf anzusprechen, und mir persönlich fehlte im letzen Jahr in Anbetracht aller anderen Ereignisse die Energie dafür.

Dennoch merke ich, dass mich das fuchst. Es trifft mich längst nicht mehr so sehr wie damals in der akuten Trauerphase. Darüber bin ich froh. Aber eine solche Nachricht kann mich durchaus aufwühlen. Sonst hätte ich diesen Text hier ja auch nicht geschrieben ;-).

Immerhin: Ärger ist schon mal eine aktivere Emotion ist als Trauer. Und das empfinde ich als positiv. Mal sehen, ob es nötig sein wird, in Zukunft diesbezüglich meinen Mut zusammenzukratzen und meinen Bruder direkt darauf anzusprechen.

Habt Ihr auch schon Ähnliches erlebt?
Und wenn ja, wie geht Ihr damit um?

Foto: Elaine

Elaine

lebt in der Schweiz. Sie liebt die Natur, besonders im Frühling. Sie mag Spaziergänge, Wanderungen, die Berge, das Meer, Bücher, Kunst, Flohmärkte, Brockenhäuser.

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