Elaine ohne Kind

Über den Abschied vom Kinderwunsch und das Leben danach

Mittwoch

7

September 2016

Die Kraft der Rituale

von Elaine, über Abschied vom Kinderwunsch, Trauer, Heilsam

Was mir im Abschied vom Kinderwunsch oft gefehlt hat, war die gesellschaftliche Akzeptanz. Da waren keine Rituale. Wenn man um einen Menschen trauert, der gestorben ist, erhält man Beileidskarten. Es werden Blumen geschickt. Familie, Freunde und Bekannte kommen zur Beerdigung. Es wird Anteil und Rücksicht genommen; in manchen Kulturen werden die Trauernden auch tatkräftig unterstützt, zum Beispiel mit vorgekochten Mahlzeiten. Es gibt das sogenannte Trauerjahr - soviel ich weiss, auch heute noch, auch wenn eine Witwe heutzutage nicht mehr schwarz tragen muss.

Wer am Ende einer belastenden Kinderwunschbehandlung um seine nie geborenen Kinder und ein ungelebtes Leben als Mutter oder Vater trauern muss, hat nichts von all dem. Es ist, als würde diese Trauer nicht existieren. Man hat zu funktionieren, weiterhin zur Arbeit zu gehen, an gesellschaftlichen Anlässen teilzunehmen und zu lächeln, als wäre nichts gewesen. Das ist hart.

Vor unserem letzten Behandlungszyklus las ich in einem Buch, dass ein Abschiedsritual dem trauernden Paar helfen könne, vom Kinderwunsch Abschied zu nehmen. Ich machte mir gedanklich eine Notiz, ging aber offen in die ersten Wochen und Monate nach dem Ende der Behandlungen, ohne gleich etwas zu planen. Ich wollte erst sehen, was dieser Abschied mit mir machte. Nach etwas mehr als einem halben Jahr kam dann der Moment, in dem ich wusste: ich bin bereit. Ich fragte meinen Mann; er fand die Idee eines Abschiedsrituals gut. So verbrachten wir dann an einem Sonntag eine Stunde am Ufer eines Flusses und legten symbolisch etwas in die Wellen, um uns von unseren Wunschkindern zu verabschieden. Über das Abschiedssymbol hatten wir uns während einiger Zeit Gedanken gemacht und alles sorgfältig vorbereitet. Mein Mann zimmerte liebevoll etwas zurecht; ich kaufte das Zubehör ein. Es waren traurige, aber auch heilsame Momente. Wir machten Fotos. Wir schauten dem kleinen Gefährt zu, wie es in den Wellen schaukelte, um dann davongetragen und immer kleiner zu werden. Als wir zu frieren begannen, machten wir uns auf den Rückweg. Spontan kehrten wir zum Essen ein. Und oh Wunder: wir genossen das Essen. Es war sehr schmackhaft. Wir unterhielten uns und lachten sogar. Bei aller Trauer ging es uns gut.

Was mir in den ersten Tagen und Wochen danach besonders half, war das Datum. Das mag jetzt vielleicht merkwürdig klingen, war für mich aber sehr wichtig. Da war dieser Punkt in unserem Kalender, an dem wir Abschied genommen hatten, physisch, von etwas, das bisher nicht in der wirklichen Welt existiert hatte. Von meinen Wunschkindern hatte ich davor gar nichts: keinen positiven Schwangerschaftstest, keine Ultraschallbilder. Nichts. Jetzt hatte ich ein Datum. Bei einem Datum gibt es ein Davor und Danach, man kann die Monate oder Jahre zählen und sagen: das war unser Abschied. Wir berichteten den Eltern und Schwiegereltern davon, und beide weinten.

Als ich später der Psychologin davon erzählte, war sie sehr zufrieden, vor allem mit dem Essensteil. Sie meinte, dass die Trauerrituale in den verschiedensten Kulturen immer auch die Rückführung in den Alltag mit beinhalteten. Das bedeutet so viel wie: das Leben geht weiter. Komm, iss und trink mit uns. Die Trauergemeinde führt die Trauernden so zurück ins Leben. Mein Mann und ich waren alleine, aber das Essen tat uns trotzdem gut.

Ich schreibe hier darüber, weil ich Euch Mut machen möchte. Falls Ihr trauert und Euch ein Ritual fehlt, zögert nicht und schafft es Euch selbst. Es kann sooo gut tun!

Foto: Elaine

Elaine

lebt in der Schweiz. Sie liebt die Natur, besonders im Frühling. Sie mag Spaziergänge, Wanderungen, die Berge, das Meer, Bücher, Kunst, Flohmärkte, Brockenhäuser.

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