Elaine ohne Kind

Über den Abschied vom Kinderwunsch und das Leben danach

Freitag

17

März 2017

"Einfach" adoptieren?

von Elaine, über Gesellschaft, Ungewollte Kinderlosigkeit, Filme, Adoption

Vor ein paar Wochen sah ich den Film LION im Kino. Den Trailer habe ich Euch weiter unten eingefügt. Ich finde ihn durchaus sehenswert. Besonders, weil es eine wahre Geschichte ist, die verfilmt wurde. Wenn Ihr hingeht, würde ich Euch aber unbedingt empfehlen, ein paar Taschentücher bereitzuhalten ;-).

Weil es so oft vorkommt, dass uns eine Adoption als “Lösung” für unsere Kinderlosigkeit vorgeschlagen wird (“Warum adoptiert Ihr nicht einfach?"), dachte ich, ich benutze den Film mal als Aufhänger für dieses Thema…

Zuallererst ist es - eigentlich wie immer ;-) - ganz wichtig anzumerken, dass auch hier jeder einzelne Weg, jedes Paar, und jeder Kinderwunsch anders ist. Es gibt keine Pauschallösungen. Und ganz sicher auch keine Pauschal-Meinungen. Die Meinung, die ich hier wiedergebe, ist meine eigene, individuelle Meinung. Und sie muss nur auf mich zutreffen, auf niemanden sonst. Es ist völlig okay, eine ganz andere Meinung zu dem Thema zu haben als ich!

Ich bin mit einem adoptierten Kind in der Nachbarschaft aufgewachsen. Das war nicht besonders schön anzusehen. Da gab es viel Streit. Das Adoptivkind liess sich zum Beispiel schlecht motivieren, seine Hausaufgaben zu machen. Es zeigte wenig Interesse an der Schule. Auch an einer höheren Ausbildung, und dies in einer Akademikerfamilie! Da waren die Schwierigkeiten vorprogrammiert. Heute, inzwischen erwachsen, lebt dieses Adoptivkind auf einem anderen Kontinenten als die Adoptivfamilie. Und Kontakte zwischen den Geschwistern bestehen gar keine mehr. Das ist nichts, was mich zum Nachahmen motiviert hätte. Ich wusste also schon als Kind, dass es kein “einfach adoptieren” gibt.

Später begann ich mich mit dem Thema dann wieder auseinanderzusetzen. Vielleicht war das ja doch eine Option für uns? Aber ich musste rasch merken, dass meine grosse Sehnsucht einem leiblichen Kind galt. Ich wünschte mir eine Mini-Version von mir und meinem Mann. Ich wollte so gerne eine Schwangerschaft erleben oder wissen wie es ist, wenn man stillt. Es wäre nicht fair, ein Kind zu uns zu nehmen, das diese Aspekte meines Kinderwunsches nie erfüllen könnte. Wir wollten Kinder, ja, aber nicht unbedingt und nicht zu jedem Preis. Es gibt andere Paare, bei denen der Kinderwunsch - wie soll ich sagen - ein wenig losgelöster von ihrem eigenen Körper und ihrer Familie ist. Die gerne ein Kind aufziehen würden, auch wenn es genetisch gesehen nicht ihr eigenes ist. Und die vielleicht gerade darin einen grossen Sinn und eine grosse Aufgabe entdecken, einem Kind von einem anderen Kontinenten ein zu Hause zu geben und ihm eine gute Ausbildung zu ermöglichen. In diesem Fall mag eine Adoption sehr gut passen.

Ein grosses Problem bei der Adoption sind für mich die kulturellen Unterschiede. Das war in meiner Kindheit auch bei der Nachbarsfamilie so. Also überlegte ich mir, dass es vielleicht besser wäre, ein europäisches Kind zu adoptieren - weil dann die Unterschiede nicht ganz so gross sind. Auch für das Kind später, wenn es heranwächst und seine Wurzeln erforschen will. Es ist einfacher, innerhalb von Europa zu reisen, als um den halben Erdball zu fliegen. Und die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern und Kulturen sind vielleicht nicht ganz so gross. Aber da stiess ich auf ein anderes Problem: hier in Europa werden die ungewollten Kinder kaum mehr geboren. Und wenn es Kinder gibt, deren Eltern schlecht für sie sorgen können - vielleicht aus psychischen Gründen oder weil sie unter einer Krankheit bzw. Sucht leiden - dann werden diese Kinder nicht mehr zur Adoption freigegeben. Sie kommen höchstens in eine Pflegefamilie. Oder in ein Heim. Der Kontakt zu den leiblichen Eltern wird aufrechterhalten. Was ich im Prinzip befürworte, denn ich möchte auf keinen Fall zurück zu den Zeiten der Verdingkinder und Zwangsverwahrung. Es ist nicht richtig, Mutter und Kind gegen den Willen der Mutter zu trennen, jedenfalls in den meisten Fällen nicht. Das bedeutet aber auch, dass kaum mehr jemand Schweizer Kinder adoptieren kann. In den Nachbarländern mag die Situation nicht genau dieselbe sein, aber ich weiss, dass es auf jeden Fall sehr viel mehr adoptionswillige Paare gibt als zur Adoption freigegebene Kinder. Liebe Leserinnen und Leser aus Deutschland und Österreich, falls Ihr dazu weitere Informationen habt, dürft Ihr diese gerne unten in den Kommentaren mit uns teilen ;-)!

Also bleibt dann doch wieder nur die internationale Adoption. Und wie kann ich hier sichergehen, dass alles “korrekt” läuft? Eine Adoption ist teuer. Die Kinder stammen aus armen Ländern. Was genau geschieht da mit meinem Geld? Ist das alles rechtens? Darüber habe ich keine Kontrolle. Ist es mir wohl dabei, das nicht zu wissen? Kann ich das verantworten?

Wenn wir denn ein Kind zu uns nähmen - falls - dann verdeutlicht der Film, von dem Ihr oben den Trailer seht, dass jedes Kind bereits eine Vorgeschichte hat, wenn es zu den Adoptiveltern kommt. Wie Saroo im Film sagt, sind sie keine “unbeschriebenen Blätter” mehr. Manche haben schon Schlimmes erlebt in ihrem kurzen Leben. Bin ich stark genug, um einem traumatisierten Kind gerechtzuwerden? Ich musste diese Frage für mich verneinen. Denn ich habe immer noch genug zu tun mit mir selbst. Der lange Kinderwunschweg hat einen hohen Preis gekostet. Ganz davon erholt habe ich mich nach wie vor nicht, auch wenn mir scheint, dass mein Leben sich Stück für Stück normalisiert.

Es ist ja nicht so, dass man heute beschliesst, ein Kind zu adoptieren, und morgen steht es vor der Tür. Es gibt lange Wartelisten. Das ist ein Verfahren, das Jahre dauern kann. Da ich bereits zu viele Jahre mit Bangen und Hoffen verbracht habe, ist das für mich keine Option mehr. Von der Warteschleife habe ich genug. Ich will mein Leben leben. Und zwar jetzt.

Ich bin sehr dankbar dafür, dass mein Mann und ich hier immer gleicher Meinung waren. Das hat es ein wenig einfacher gemacht und uns manche Diskussionen zum Vornherein erspart.

Eine Adoption kann eine wunderbare Sache sein. Natürlich können wir hier in Europa den Kindern aus Asien oder Südamerika materiell sehr viel bieten. Sie sind hier grundsätzlich in Sicherheit, müssen nicht hungern. Und sie haben Zugang zur Bildung. Das ist schon viel, wenn man bedenkt, wie die Strassenkinder in vielen Ländern leben. Ein Teil von mir bewundert daher Paare, die solche Kinder zu sich nehmen. Und ich freue mich, wenn daraus schöne, gesunde Familien werden. Nur “meins” wäre das eben nicht.

Wie ist das bei Euch? Wurdet Ihr auch schon auf das Thema angesprochen? Und wie denkt Ihr darüber?

Foto: Elaine

Elaine

lebt in der Schweiz. Sie liebt die Natur, besonders im Frühling. Sie mag Spaziergänge, Wanderungen, die Berge, das Meer, Bücher, Kunst, Flohmärkte, Brockenhäuser.

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