Elaine ohne Kind

Über den Abschied vom Kinderwunsch und das Leben danach

Donnerstag

9

Juni 2016

Selbstfürsorge

von Elaine, über Ungewollte Kinderlosigkeit, Heilsam

Rücksichtnahme gegenüber anderen fällt mir einigermassen leicht. So bin ich erzogen worden. Ich versuche mich in mein Gegenüber hineinzuversetzen, mitfühlend, empathisch zu sein. So gut ich es kann. Ich verzeihe, unterstütze. Gegenüber mir selbst fällt mir das weit schwerer. Und das war nicht gerade hilfreich, als ich den aktiven Kinderwunschweg verliess.

Ein paar Dinge habe ich gelernt, seitdem mein Mann und ich den Schlussstrich unter das Kapitel Familienplanung gezogen haben. Zum Beispiel dies: wenn ich mir selbst erlaube traurig zu sein und mich in diesem unschönen Zustand annehme, geht es mir schneller wieder gut, als wenn ich krampfhaft versuche, nicht traurig zu sein. Ich reite mit den Wellen mit, wenn sie kommen. Ich bin inzwischen soweit, dass ich mir selbst sagen kann: es ist okay. Du darfst traurig sein. Ist die Welle vorüber, bin ich müde. Aber ich erhole mich wieder.

Es gab Zeiten, da ärgerte ich mich über mich selbst. Ich war frustriert. Weil ich gerne funktioniert hätte wie alle anderen. Mehr gegeben hätte, als ich es konnte. Anteil nehmen wollte an Dingen, die meine Kraft überstiegen. Aber auch das wird seltener. Weil ich lerne, mir gegenüber nachsichtiger und verständnisvoller zu werden. Weil ich merke, dass zum Beispiel meine schwangere Schwester von mir das Unmögliche auch gar nicht erwartet. Sie weiss, dass ich gerne Anteil nehmen würde, aber es nicht so sehr kann. Und auch, weil es doch weit genug andere Menschen gibt, die bei gerade diesen freudigen Ereignissen all das tun, was man in unserer Gesellschaft üblicherweise so tut. Dass ich dabei nicht immer mitmache, fällt mir selbst vermutlich am meisten auf.

In der Trauerphase wurde es für mich zu einer absoluten Notwendigkeit, Aktivitäten nachzugehen, die mir gut tun. Dazu gehören für mich genügend Bewegung, die Natur und Kreativität. Anfangs musste ich mich meist dazu aufraffen, diese Dinge zu tun, die ich eigentlich liebe! Aber das war es auf jeden Fall wert.

Ich bin ein Listen-Mensch. Ich notiere mir, was erledigt werden sollte, oder was ich gerne tun würde. Wenn man versucht, den Erwartungen von aussen gerecht zu werden, gibt das eine sehr lange Liste. Und zwar nicht unbedingt mit Dingen, die einem gut tun! In Phasen tiefer Trauer musste ich daher lernen, Prioritäten zu setzen. Mir fehlte die Kraft für alles, was über das Nötigste hinausging. Im Haushalt blieb vieles liegen. Ich musste in erster Linie dafür sorgen, dass es mir gut genug ging. Soweit das eben in meiner Macht stand. Das wurde für eine Weile meine oberste Priorität. Es bedeutete, einen freien Tag mit einem Spaziergang oder einer Laufrunde zu beginnen. Oder im Sommer an den See zu fahren, auch wenn daheim so einiges zu tun gewesen wäre. Keine einfache Lektion für mich, die ich mit dem Leitspruch “zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen” aufgewachsen bin.

Ich lerne immer noch. Jetzt, wo ich wieder mehr Kraft habe, besteht die Herausforderung darin, nicht alles aufs Mal machen zu wollen. Mir Zeit damit zu lassen, den Haushalt wieder auf Vordermann zu bringen. In der Terminplanung noch zurückhaltend zu sein. Denn obwohl es stetig bergauf geht - ganz oben auf dem Berggipfel bin ich noch nicht.

Foto: Elaine

Elaine

lebt in der Schweiz. Sie liebt die Natur, besonders im Frühling. Sie mag Spaziergänge, Wanderungen, die Berge, das Meer, Bücher, Kunst, Flohmärkte, Brockenhäuser.

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