Unerwartet
von Elaine, über Gesellschaft, Ungewollte Kinderlosigkeit, Trauer, Selbstfürsorge
Kürzlich besuchte ich einen ganztägigen Erste-Hilfe-Kurs, ein Angebot meines Arbeitgebers. Dieser Kurs war nicht mein erster. Der Nothelferkurs, den ich damals für die Autoprüfung absolviert hatte, lag jedoch schon 20 Jahre zurück. Viel zu lange, um in einer Notsituation noch angemessen reagieren zu können. Umso besser, dass ich das Ganze etwas auffrischen konnte.
Wir übten die Reanimation an mehreren Erwachsenenpuppen, an einem Kind und an einem Baby. Natürlich war das anstrengend, aber als ich an der Reihe war beim Baby, wurde es ganz plötzlich auch sehr emotional. Die Kursleiterin hatte glücklicherweise zu Beginn des Kurses erwähnt, dass wir jederzeit den Raum verlassen dürften, wenn uns etwas zu nahe ginge. Das war zwar nicht nötig, aber ich sagte meiner Gruppe, dass das etwas mit mir machte. Und dass ich hoffe, nie ein Baby reanimieren zu müssen. In meiner kleinen Gruppe waren nur Frauen, und so antwortete die eine, das ginge uns sicher allen so. Später besprachen wir das Heimlich-Manöver, das man anwendet, wenn jemand versehentlich etwas eingeatmet hat (zum Beispiel beim Essen) und zu ersticken droht. Als ich an die Reihe kam, die Baby-Version des Heimlich-Manövers zu üben, verzichtete ich. Es kostete mich einige Kraft, vor den anderen nicht in Tränen auszubrechen.
Erst daheim wurde mir bewusst, dass meine Gefühle wohl über das hinausgingen, was man in einem solchen Kontext in der Regel fühlt. Die Baby-Puppe war nach langem wieder einmal ein Auslöser für die Trauer um die Kinder, die ich nie haben werde. Zu Hause erzählte ich meinem Mann davon. Endlich konnte ich die Tränen zulassen.
Ich erinnere mich an die ersten Jahre der Trauer im Abschied vom Kinderwunsch. Da kam es vor, dass ich dachte, mit ginge es ja nun besser, und dann traf mich doch wieder etwas direkt ins Herz. Ich erinnere mich an die Frustration, die ich darüber manchmal verspürte. Weil ich meinte, Fortschritte gemacht zu haben, und dann fühlte es sich an wie ein Rückschritt. Dieses lineare Denken ist nicht hilfreich, das weiss ich inzwischen. Das Bild der Wellen hilft, oder vielleicht dasjenige einer Spirale. Es kann sein, dass wir nochmals am selben Ort vorbeikommen, aber zu dem Zeitpunkt haben wir uns bereits weiterentwickelt. Rückschritte sind es nie.
Diese Baby-Reanimationspuppe? Ich war nicht darauf vorbereitet, dass sie so viel in mir auslösen würde. Es verwirrte mich: Warum jetzt das? Nach all den Jahren? Zum Glück erinnerte ich mich jedoch relativ rasch daran, wie ich in solchen Fällen am besten mit mir selbst umgehe. Nämlich mit Nachsicht. Und Selbstfürsorge. Ich liess mich von meinem Mann in den Arm nehmen. Machte einen Spaziergang. Und begann damit, diesen Text zu schreiben.
Ein paar Tage später berichtete ich einer Freundin davon. Sie meinte, meine überraschende Schwangerschaft und Fehlgeburt lägen ja erst etwas über zwei Jahre zurück. Und da hat sie Recht. Das hatte einiges wieder aufgewirbelt, was ich längst verarbeitet geglaubt hatte.
Wie ist das bei Euch? Habt Ihr so etwas auch schon erlebt?
Was hat bei Euch zuletzt (unerwartet oder nicht) Trauer ausgelöst?
Foto: Elaine
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