Elaine ohne Kind

Über den Abschied vom Kinderwunsch und das Leben danach

Samstag

30

September 2023

Gekommen und gegangen

von Elaine, über Ungewollte Kinderlosigkeit, Fehlgeburt

Ihr Lieben,

diesen Text habe ich dreimal neu geschrieben. Nach all den Jahren gibt es nun doch wieder Dinge, die zunächst nicht richtig greifbar sind. Ich kann sie nur nach und nach in Worte fassen.

Ende Januar zeigte mir meine Zyklus-App den heutigen Tag als möglichen Geburtstermin an. Hier und hier habe ich bereits von meiner unerwarteten kurzen Schwangerschaft und Fehlgeburt berichtet. Ich wollte diesen Tag auf irgendeine Weise ehren, das wusste ich in meinem Kopf. Emotional war das Ganze eine völlig andere Geschichte. Lange hatte ich nur den Titel des Blogeintrags. Abgesehen davon fand ich keinen Zugang zum Thema. Das kam mir seltsam vor, aber ich konnte nicht viel dagegen tun. Vielleicht war das eine Art Schutz? Im Sinne von: Wenn die Kapazitäten fehlen, dann kommen manche Dinge gar nicht erst hoch?

Ehrlich gesagt habe ich dieses Jahr vor allem funktioniert und überlebt. Wie in den oben verlinkten Texten geschildert, kam sowohl daheim als auch auf Arbeit unglaublich viel zusammen. Natürlich hatte ich unmittelbar in der Situation durchaus Gefühle, die ich irgendwie zu verarbeiten versuchte. Indem ich möglichst häufig auf Spaziergänge ging, hier darüber schrieb, in meinem Umfeld davon erzählte. Das war vor allem im Frühling. Dann kam der Sommer mit nochmals neuen Herausforderungen, die vor allem unsere Paarbeziehung betrafen. Und die Verarbeitung der Fehlgeburt hatte keinen Platz.

Während mein Mann nach dem Ultraschalltermin über die schlechte Nachricht weinte, blieb es bei mir emotional ruhiger. Damals dachte ich, es sei gut, dass mein Mann zur Abwechslung emotional etwas mehr Raum hatte, denn in meinen Dreissigern war vor allem ich die mit den starken Gefühlen gewesen. Mein Mann nahm sich da eher zurück, bot mir die starke Schulter.

Was körperlich abging, steht jedoch auf einem ganz anderen Blatt. Zwei Freundinnen von mir sind bei Fehlgeburten im Zusammenhang mit Windeiern fast gestorben bzw. verblutet. Meine Gynäkologin legte mir denn auch sehr ans Herz, das Ganze medikamentös einzuleiten. Unter anderem auch, weil es in solchen Fällen bis zu zwei Monate dauern kann, bis der Körper selbst merkt, dass etwas nicht stimmt. Ich hätte mir nicht vorstellen können, zwei weitere Monate mit sämtlichen Schwangerschaftssymptomen zu leben im Wissen, dass die kleine Seele längst wieder gegangen ist. Das Gute an der medikamentösen Variante war, dass ich mich dadurch etwas weniger ausgeliefert fühlte, als wenn ich der Natur ihren Lauf gelassen hätte. Dennoch war das Timing denkbar ungünstig: Ich hatte eine nigelnagelneue Stelle, an der ich in der Probezeit nicht fehlen wollte, und mein Mann wurde ausgerechnet in der Woche 40 Jahre alt. Wir hatten Streit, weil mein Schatz natürlich seine Feierlichkeiten (es gab drei davon) nicht absagen wollte und ich meinerseits möglichst wenig Krankentage auf Arbeit generieren wollte. Im Grunde gab es gar keine Zeitspanne, in der die mehrere Tage dauernde stille Geburt gepasst hätte. Mir blieb keine andere Wahl, als das Ganze irgendwie parallel durchzuziehen.

Für alle Leserinnen, die eine Fehlgeburt durchgemacht haben: Ihr habt mein tiefstes Mitgefühl. Auch wenn ich immer hatte wissen wollen, wie es ist, schwanger zu sein, und mein Mann und ich versuchten, die Sache mit Humor zu nehmen, indem wir sagten: “Nun hätten wir also auch das erledigt, wir waren mal schwanger!” – bis in die angenehme Phase der Schwangerschaft (die soll es durchaus geben?) kam ich gar nicht erst. Eins kann ich Euch sagen: Schwangerschaftsübelkeit in den ersten Wochen der Probezeit an einer neuen Stelle, die man behalten möchte, ist kein Zuckerschlecken. Zudem waren mein Mann und ich durch unsere Erfahrungen in meinen Dreissigern skeptisch und freuten uns nicht zu schnell. Mein Schatz meinte sogar: Ich glaube es dann, wenn ich es sehe! Und als wir es sahen… nun, da gab es nichts mehr zu glauben, da die Fruchthöhle auf dem Ultraschallbild leer war. Wir hatten also nicht das Wechselbad der Gefühle im Sinne einer unbändigen und danach enttäuschten Freude. Da war eher eine Art Ungläubigkeit darüber, dass dies überhaupt passierte. Es schien am Ende auch absolut sinnlos. Wieso das Ganze? Ich merkte deutlich, dass diese Erfahrung für meinen Körper eine grosse Strapaze war. Immerhin bin ich schon 44! Meine Fehlgeburt erfolgte in der elften Woche. Ich kann mir nur vorstellen, wie viel krasser es sein muss, ein Kind in der späten Schwangerschaft zu verlieren. An alle, die das betrifft: Ihr habt meinen tiefsten Respekt!

Zurück in die Gegenwart: Die letzten zwei Wochen hatte ich Ferien, die ich allerdings von meinem Mann getrennt verbrachte, mit Ausnahme eines gemeinsamen Dinners in der Mitte der Ferien. Unsere Ehe kriselt aktuell etwas, aber das ist wieder ein anderes Thema. Auf jeden Fall schufen diese zwei Wochen den Raum, den ich wohl brauchte. Es waren keine schönen Genuss-Ferien, denn ich verbrachte die eine Hälfte schlaflos und dann weitere Tage mit starker Periode und Krämpfen, wie ich sie vor der Fehlgeburt dank der Ernährungsumstellung nicht mehr gehabt hatte.

So viel läuft über den Körper. Wir versuchen immer, die Dinge mit dem Kopf zu lösen. Dabei stecken gewisse Erfahrungen in all unseren Zellen und Fasern drin, gerade wenn es eine körperliche Angelegenheit wie eine Schwangerschaft und Fehlgeburt betrifft.

Vorgestern, also am ersten Tag, an dem ich wieder über etwas Energie verfügte, ging ich wandern. Alleine. Ich nahm ein Postauto in die nächstgelegene Bergregion und war etwa fünf Stunden zu Fuss unterwegs. Genoss die Natur, schnaufte und schwitzte. Kam völlig erschöpft, aber zufrieden nach Hause. Gestern erwachte ich dann mit all diesen Gedanken hier. Endlich kommen die Dinge an die Oberfläche!

Ich weiss noch, wie meine Mutter im Frühling meinte: “Du machst das aber gut!” Weil ich kein emotionales Wrack war. In Wirklichkeit funktionierte ich einfach. Erst jetzt habe ich den Raum zur Verarbeitung. Meinen Körper zu bewegen und draussen in der Natur zu sein, hat mir gut getan. Das war ein Punkt, an dem ich seit Anfang Jahr anstand: Ausdauersport ging irgendwie nicht. Yoga, ja. Das möchte ich nicht mehr missen. Aber meine mangelnde Kondition war ein Knackpunkt. Auch, weil ich seit Anfang Jahr ein paar Kilo mehr auf die Wange bringe, die ich nicht mehr so leicht loswerde.

Es braucht alles seine Zeit. Trotz allem, was dieses Jahr mir zugemutet hat, bin ich dankbar. Dankbar dafür, die Natur geniessen zu können. Dankbar für diesen Körper, der mich dorthin transportiert und mir die schönen Erfahrungen ermöglicht.

Und Euch möchte ich danken fürs Zuhören <3.
Nächstes Mal gibt es hoffentlich wieder Erfreulicheres zu berichten ;-).

Herzlich,
Euere Elaine

Foto: Elaine

Elaine

lebt in der Schweiz. Sie liebt die Natur, besonders im Frühling. Sie mag Spaziergänge, Wanderungen, die Berge, das Meer, Bücher, Kunst, Flohmärkte, Brockenhäuser.

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