Weisheit des Winters
von Elaine, über Ungewollte Kinderlosigkeit, Leben

Inzwischen weiss ich, dass jedes Jahr anders ist. Und damit jeder Dezember, jede Weihnacht. Vor zehn Jahren empfand ich die Festtage als unsäglich schwierig. Dann wurde es leichter. Zum Glück! Dennoch ist dieser Monat fast immer voll. Zu voll, während meine Batterien sich unweigerlich leeren. Einmal versuchte ich es mit Urlaub direkt vor den Festtagen, was die Phase davor aber nur noch stressiger werden liess. Wenn möglich versuche ich meine freie Zeit jeweils nicht zu sehr zu verplanen. Aber man will ja nicht zu allem “Nein” sagen! Eine wirkliche Lösung habe ich daher bis heute noch nicht gefunden.
In diesem Dezember gab es Tage, an denen ich schlecht geschlafen hatte, fast von der Weltpolitik erdrückt wurde, nicht wusste, wie ich einen Arbeitstag überstehen sollte, und andere, an denen mir das Herz beinahe platzte. Sei es durch wunderbare Wendungen im Leben von lieben Menschen, sei es durch ein unerwartetes Wohnzimmerkonzert an einem Geburtstag. Oder seltenen Sonnenschein, der die Schatten der Sternkleber am Fenster auf meine Teetasse projizierte. Ein Monat so bunt wie das Leben, mit Musik, die ins Herz ging, aber auch mit Trauer (meine Tante ist inzwischen verstorben) und Müdigkeit. Viel Müdigkeit sogar, mehr als in anderen Jahren, wie mir schien. Oder meint man das jedes Jahr?
Diesmal waren mein Mann und ich Gastgeber der Familienfeier auf meiner Seite. Meine Geschwister und ich wechseln uns seit einigen Jahren ab mit der Gastgeberrolle, wobei die Familie laufend Zuwachs bekommt. Ein Fest für knapp 20 Personen zu planen, forderte mich ziemlich heraus, aber am Ende ging alles gut. Zwei meiner Nichten malten, klebten und schnitten eifrig mit Material, das ich ihnen zur Verfügung gestellt hatte, der älteste Neffe erklärte mir schon fast fachmännisch, wie ich mein neues Mobiltelefon am besten einstelle und schütze, und zum Schluss taute auch die zweitjüngste Nichte auf, spielte mit mir Verstecken und liess sich sogar auf den Arm nehmen. Den allerjüngsten Spross (zwei Monate alt) sah ich zum ersten Mal überhaupt. Es war nicht so schlimm, wie ich befürchtet hatte – viel weniger kompliziert als bei der älteren Schwester.
Die Erleichterung am Abend, nachdem aufgeräumt und geputzt war, liess mich beinahe schweben. Erst in der Nacht kam dann hoch, wie kinderzentriert der Tag gewesen war. Zurück blieben gemischte Gefühle. Glück, aber auch eine Spur Traurigkeit. Ich frage mich, ob das für immer so bleiben wird? Mit den älteren Kindern komme ich gut klar, da sie schon sehr eigenständige Persönlichkeiten haben. Emotionaler ist es mit den Kleinsten, zum Glück mittlerweile erst im Nachhinein. Vielleicht wird auch das wieder einfacher, wenn sie älter werden?
Wie erging es Euch in diesem Dezember?
Für mich ist die Zeit “zwischen den Jahren” auch jetzt wieder eine Gelegenheit, innezuhalten und Kraft zu tanken nach dem Trubel der Festtage. Kürzlich begegnete mir ein Gedicht, das gut dazu passt. Ihr findet es weiter unten.
Einen angenehmen Jahresausklang Euch allen! Kommt gut in ein gesundes, friedliches und hoffentlich auch immer wieder fröhliches 2026.
Eure Elaine
Wegbereiterin
Ich wiege die Weisheit des Winters.
in meiner Mitte,
die Weisheit der Dunkelheit, die sagt:
Vergiss alles, was du gesehen hast,
so beglückend und schmerzlich es war,
und vertraue dem Unbekannten,
das sich deinem Auge nicht zeigt.
Lerne vom schlafenden Tier in der Höhle,
von der ruhenden Wurzel
und dem wartenden Samen,
lerne von der Langsamkeit der Erde
unter einer hauchdünnen Decke aus Schnee.
Lerne das Atmen ohne Hast,
das Gegenwärtigsein ohne Ziel,
lerne das Vertrauen in die Gerechtigkeit der Zeit,
die jeder Kreatur Tage des Lichts
und der Finsternis schenkt,
Zeiten des Sammelns und des Verlierens,
des Lebens und Vergehens.
Erinnere dich an die Dunkelheit in dir,
an die nach Wagnis und Schmerz
duftenden Wunder, die sie hervorbringt:
ein befreiendes Wort,
gereift in ausgiebigem Schweigen,
das Leuchten einer neuen Idee
über dem Abgrund des Nichtwissens,
die Frucht der Dankbarkeit
auf dem Boden des Wartenkönnens.
Erinnere dich an die innige Berührung,
die sich der Sanftheit der Nacht
und dem blinden Vertrauen verdankt.
Befreunde dich mit der Dunkelheit,
mit deiner treuen Wegbereiterin,
die dich ein Leben lang über die ersehnten
und gefürchteten Schwellen
in die Unerschöpflichkeit des Lebens ruft.
Giannina Wedde
Foto: Elaine
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