Endometriose
von Elaine, über Ungewollte Kinderlosigkeit, Reproduktionsmedizin, Schmerz, Trauer, Endometriose
In Anbetracht der Umstände ging es mir eigentlich recht gut. Natürlich ist die globale Situation im Moment alles andere als optimal, aber irgendwie kam ich bisher über die Runden. Ich dachte, ich hätte alles verarbeitet. Wäre versöhnt mit meiner Kinderlosigkeit und könne soweit leben mit meinem Körper, der zwar nicht perfekt ist (da er mir keine Kinder geschenkt hat), aber doch sehr viel Gutes für mich tut. Und sicher stimmte das auch. Zumindest was die mir bewussten Themen betraf. Aber: Überraschung! Da war noch mehr.
Es kam nämlich eine Nachricht von meiner kleinen Schwester. Sie war im Krankenhaus. Mit zwei Zysten am linken Eierstock und einem entzündeten Dickdarm. Und - zack! - war es vorbei mit meinem Seelenfrieden.
Ich habe Endometriose. Das ist wohl der Grund dafür, weshalb mein Mann und ich keine Kinder haben. Und bei meiner Schwester besteht nun der Verdacht auf die gleiche Krankheit. Es ist eine Sache, so etwas selber durchzumachen. Aber der Gedanke daran, was vor ihr liegen könnte, dass sie mit einer schmerzhaften chronischen Krankheit leben muss und womöglich Schwierigkeiten haben wird, Kinder zu bekommen, warf mich regelrecht aus der Bahn.
Dank meiner Medikamente konnte ich am Abend nach der Einweisung meiner Schwester ins Krankenhaus immerhin einschlafen. Um 4 Uhr war meine Nacht aber bereits wieder vorbei. Zu gross waren meine Sorgen. Ich kramte hervor, was ich an Unterlagen habe: ein Fachbuch über Endometriose, meinen OP-Bericht aus dem Krankenhaus, ein Anatomiebuch. Ich schrieb an meine Mutter und meine Schwester, weil ich ihnen den Wissensvorsprung verschaffen wollte, den ich selbst damals nicht gehabt hatte. Und dann ging ich zur Arbeit.
Ich stand total neben mir, war übermüdet und gereizt. Zum Glück endete dieser Arbeitstag am Mittag. Auf dem Heimweg schniefte ich in der Bahnhofunterführung in meine Hygienemaske. Für einmal fand ich es noch ganz praktisch, dass sie mein Gesicht verbarg. Mir war so richtig zum Heulen zumute. Hallo Trauer! Da bist du ja wieder…
Ich wusste: es ging nicht nur um meine Schwester. Denn noch kennen wir ihre definitive Diagnose nicht. Es könnte auch etwas anderes sein. Mir wurde plötzlich bewusst, dass ich wohl vom Kinderwunsch Abschied genommen und mit meiner Psychologin die traumatischen Anteile der Kinderwunschbehandlung aufgearbeitet hatte, aber die Diagnose “Endometriose” war wie frisch. Als hätte ich sie nicht vor 6 1/2 Jahren erhalten, sondern gerade eben. Vielleicht liegt es daran, dass ich mich damals auf anderes konzentrieren musste: zuerst darauf, doch schwanger zu werden, was trotz OP und Behandlung nicht klappte, und dann darauf, die Trauer über meine Kinderlosigkeit irgendwie zu überstehen. Beides war kräftezehrend, und das auf allen Ebenen.
Endometriose ist in vielen Fällen nicht heilbar. Es wird wohl noch häufig operiert (was auch daran liegt, dass es eine OP zur Diagnose braucht), aber in 70% der Fälle sind diese OPs nicht erfolgreich, d.h. die Endometrioseherde sind nicht ganz beseitigt und die Endometriose flammt wieder auf. Diese Zahlen habe ich leider auch erst im Fachbuch entdeckt, das ich mir letztes Jahr bestellt hatte. Die Ärzte sagten mir damals, ich würde nach der OP leichter schwanger werden können. Aber meine OP hat in Kombination mit der Kinderwunschbehandlung alles nur schlimmer gemacht. So sehr, dass ich meinen Zyklus heute mit Hormonen ganz unterdrücke, weil ich sonst mindestens einen Viertel meines Lebens mit Schmerzen ausser Gefecht gesetzt wäre, gegen die auch verschreibungspflichtige Schmerzmittel nicht mehr ankommen. Und ich habe noch nicht mal eine schwere Endometriose, zumindest gemäss der Diagnose, die inzwischen 6 1/2 Jahre alt ist.
Bis heute kennt man die Ursachen der Endometriose nicht. Es gibt bloss Vermutungen. Und sie ist gar nicht so selten: die Krankheit betrifft 5-10% der Frauen. Natürlich legt man sich nicht unbedingt unters Messer, wenn es nicht nötig ist. Daher schlucken viele jahrelang Schmerzmittel und leben mit der Ungewissheit. Auch bei mir war das so. Zwanzig Jahre lang. Bis eben der Kinderwunsch zu gross wurde und ich Bescheid wissen wollte.
Es ist möglich, mit Endometriose schwanger zu werden. Ich habe eine Freundin von früher, die trotz schwerer Endometriose heute drei Kinder hat. Aber der Weg dorthin ist eben steiniger als ohne Endometriose, und bei mir hat es gar nicht sein sollen.
In Anbetracht der Zahlen ist davon auszugehen, dass einige von Euch von der Thematik ebenfalls betroffen sind. Falls Ihr selbst Endometriose diagnostiziert bekommen habt: Wie geht es Euch damit?
Foto: Elaine
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