Elaine ohne Kind

Über den Abschied vom Kinderwunsch und das Leben danach

Freitag

23

Juni 2023

In Bewegung kommen

von Elaine, über Ungewollte Kinderlosigkeit, Fehlgeburt, Abschied vom Kinderwunsch, Heilsam

Schon vor einigen Jahren erwähnte eine der Frauen, mit denen ich mich in einer kleinen Gruppe über unsere Kinderlosigkeit austauschte, dass es einen Zusammenhang gäbe zwischen der äusseren Bewegung und dem inneren Vorwärts-Kommen.

Ich hatte bereits vor sieben, acht Jahren gemerkt, dass zu meinen Selbstfürsorgemassnahmen unbedingt Bewegung und frische Luft gehören mussten. Die Natur war und ist für mich unglaublich kraftspendend. Ich ging also diszipliniert spazieren und joggen, so wie ich es mir einrichten konnte. Es half tatsächlich, zusammen mit dem Schreiben dieses Blogs und manch anderem. Die Dinge begannen sich nach und nach zu lösen. Ich konnte verarbeiten und heilen. Irgendwann betrachtete ich mich als über die akuteste Trauer hinweg. Ich gelangte vom Überlebensmodus zurück ins “normale” Leben. Das war manchmal immer noch herausfordernd, aber auf einem deutlich niedrigeren Level. Obwohl ich meine Komfortzone immer wieder verliess, um mich weiterzuentwickeln. Klar wurde ich da mit mir selbst konfrontiert, auch mit Unangenehmem. Aber ich merkte auch, dass ich vorwärts kam. Dass ich dazulernte. Mich verbesserte. Neue Gebiete für mich eroberte.

Dann kam 2023. Das Jahr, in dem mich längst Verarabeitetes wieder einholte. Das Jahr, in dem ich zum allerersten Mal in meinem Leben schwanger wurde, nachdem ich lange so hart dafür gearbeitet hatte, mich vom Kinderwunsch zu verabschieden und mir ein anderes, dennoch lebenswertes Leben aufzubauen.

Der neue Job und die Teilzeitselbstständigeit: diese beiden Dinge würden mich herausfordern, das wusste ich bereits im Vorfeld. Aber ich dachte, ich würde es irgendwie schaffen. Dann kam der positive Schwangerschaftstest. Die Übelkeit in den ersten Arbeitswochen. Schlaflose Nächte, weil ich mit allem komplett überfordert war. Angst. Würde das Kind gesund sein? Ich wusste um die exponentiell steigenden Risiken von Hormondefekten in meinem Alter. Hoffentlich war es keine Eileiterschwangerschaft – mit Endometriose wäre das nichts Ungewöhnliches! Und würde ich das alles überhaupt noch schaffen? Die schlaflosen Nächte, das Aufgeben meines “Plan B”, für den ich so hart gearbeitet hatte? Da war auch Wut. Warum jetzt? Ich fühlte mich zu alt, zu “angeknackst” mit meinen Unverträglichkeiten und Schlafproblemen. Warum nicht damals, als ich noch gesünder gewesen war und wir (fast) alles getan hätten dafür, ein Kind zu bekommen? Da hätte ich noch mehr Kraft gehabt und einen besseren Schlaf. Jetzt hatte ich endlich eine spannende Teilzeitstelle gefunden. Eine, die anständig bezahlt und nicht langweilig war. Eine Stelle, wie man sie nicht an jeder Strassenecke findet. Ich dachte, mein Leben wäre gut aufgegleist. Und dann stand alles Kopf.

Dass vier Wochen später nur ein Windei auf dem Ultraschall zu sehen war, machte die Situation auf Arbeit dann irgendwann zwar wieder einfacher. Aber davor galt es noch Hormone zu schlucken, ein Wehenmittel zu nehmen, eine stille Geburt zu durchleben und – Ihr ahnt es – zu trauern. Obwohl ich gedacht hatte, das mit der Trauer läge längst hinter mir. Dies alles geschah wenige Tage vor dem 40. Geburtstag meines Mannes. Er hatte eine Serie von drei Partys geplant mit ingesamt 100 Personen. Ich wollte weder ihm seine Feierlichkeiten verderben noch in meinem brandneuen Job ausfallen. Am Ende musste ich dann doch einen Krankentag nehmen. Sehr, sehr widerwillig. Es ging nicht anders.

Es war alles zu viel aufs Mal. Das war offensichtlich. Als sehr kurz darauf die mächtige Trauerweide in unserem Garten gefällt wurde und klar war, dass ich einen Teil meines Gartens räumen muss, wenige Wochen vor dem Umbau unseres Badezimmers, da staute sich bei mir alles an. Ich kam nicht hinterher mit dem Verarbeiten. Ich ging zwar spazieren, soviel ich konnte. Aber in meinem Kopf drehten sich die Gedanken in Dauerschleife. Ich war blockiert. In negativen Gedanken und heftigen Gefühlen.

Ich musste auf andere Weise in Bewegung kommen. Der Tag, an dem mein Mann, mein Schwager und ich im Garten arbeiteten, Pflanzen ausgruben, wieder eingruben und neue Platten um die Feuerstelle verlegten, bis wir uns kaum mehr bewegen konnten, war der Wendepunkt. Es war der Tag, an dem ich körperlich am Abend komplett erschöpft war, aber an dem ich dennoch bis in die Nacht hinein Texte tippte und Fotos suchte. Für diesen Blog. Weil es zu sprudeln begann. Endlich löste sich der Knopf. Puh!

Ich finde das faszinierend. Dass manche Dinge irgendwie nur über den Körper in Bewegung kommen. So genau verstehe ich das noch nicht. Aber ist es nicht spannend?

Habt Ihr schon ähnliche Erfahrungen gemacht?

Foto: Elaine

Elaine

lebt in der Schweiz. Sie liebt die Natur, besonders im Frühling. Sie mag Spaziergänge, Wanderungen, die Berge, das Meer, Bücher, Kunst, Flohmärkte, Brockenhäuser.

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