Elaine ohne Kind

Über den Abschied vom Kinderwunsch und das Leben danach

Freitag

7

Juli 2023

Nicht okay

von Elaine, über Ungewollte Kinderlosigkeit, Fehlgeburt, Gesellschaft, Selbstfürsorge

Ein Hinweis vorab: das hier ist ein wütender Text. Wenn Ihr heute einen schlechten Tag habt und eher etwas Schönes oder Aufmunterndes braucht, dann lest ihn vielleicht ein andermal ;-)…


Grundsätzlich schien mir ja, dass mein Umfeld zu Beginn dieses Jahres, als ich parallel zu meinem Stellenantritt mit einer unerwarteten Schwangerschaft und Fehlgeburt konfrontiert wurde, bedeutend besser mit der Situation umgehen konnte als mit meinem Abschied vom Kinderwunsch vor sechs bis acht Jahren. Zwei Frauen schenkten mir Blumen und schrieben mir Karten, und andere nahmen mich spontan in den Arm, als ich es ihnen erzählte.

Interessanterweise enttäuschten mich jedoch gerade die Menschen, die mich schon am längsten begleiten: meine Eltern und eine Freundin aus Jugendzeiten. Erstere gaben sinnlose Floskeln von sich, die mich nur wütend machten. Und die zweite meinte allen Ernstes: “Na siehst du – jetzt warst du entspannt!” Was nicht stimmte, denn ich hatte eine neue Stelle angetreten, und dies auch noch halb krank. Es ging mir also nicht so supertoll! Das Märchen von der Entspannung… ich weiss nicht, wann dieses endgültig ausstirbt? Vielleicht nie?

Vor acht Jahren hatten alle eine Entschuldigung. Sie wussten nicht, wie man damit umgeht, wenn jemand ungewollt kinderlos bleibt. Die Gesellschaft gab ihnen dafür keine Leitplanken. Sie waren hilflos, überfordert und sagten daher die am wenigsten hilfreichen Dinge. Vor allem meinen ja alle, sie seien besonders originell, wenn sie mir eine Adoption als “Lösung” vorschlagen? Das ist wirklich ein Muster, das sich seit Jahren zuverlässig durchzieht.

Jetzt bin ich zwar weniger verletzlich als vor acht Jahren. Ich habe die ungewollte Kinderlosigkeit gründlich verarbeitet, unter anderem auch, indem ich hier darüber geschrieben und mich mit anderen Frauen in ähnlichen Situationen vernetzt habe. Die Wunde ist also nicht mehr ganz so roh. Es ist eine gewisse Haut darüber gewachsen. Dennoch merke ich, dass ich manche Verhaltensweisen nicht mehr tolerieren möchte. Wenn mir nahestehende Menschen in den letzten acht Jahren nichts gelernt haben, dann kann ich ihnen auch nicht helfen. Es hat Konsequenzen für unsere Beziehung. Ich werde mal nicht ans Telefon gehen, wenn sie anrufen. Einfach, weil ich keine Lust darauf habe. Und ich werde immer mehr Zeit verstreichen lassen, bis ich mich wieder bei ihnen melde.

Da ist eine ordentliche Portion Wut, merke ich. Dass diese Menschen erwarten, dass ich mich in ihre Welt einfühle und ein offenes Ohr für sie habe. Ohne im Gegenzug auch nur das Geringste über meine Situation und den Umgang damit gelernt zu haben. Sie rechtfertigen sich im Gegenteil sogar noch mit Aussagen wie: “Du hast ja selber gesagt, dass das nur jemand verstehen kann, der das selber durchgemacht hat.” Dankeschön!

Tatsächlich haben mich mehrere Frauen sehr, sehr gut verstanden, die nicht unbedingt dasselbe durchgemacht haben. Daran liegt es also nicht!

In den letzten acht Jahren habe ich erst fast meinen gesamten Freundeskreis verloren und mir dann nach und nach wieder einen neuen aufgebaut. Diese neuen Freundschaften sind diejenigen, die jetzt tragen. Die wenigen alten, die geblieben sind… Entschuldigung, aber die haben der aktuellsten Prüfung nicht sehr gut standgehalten.

Das bestärkt mich darin, mir die Menschen weiterhin sorgsam auszuwählen, denen ich meine Zeit und mein Vertrauen schenke. Ich muss mich nicht auf Gedeih und Verderb Menschen ausliefern, die nur mit sich selbst beschäftigt sind. Ich muss mir auch nicht stundenlang ihren Ballast anhören, wenn es mir selbst nicht gut geht. Abgrenzung ist etwas, was ich in den letzten Jahren wohl oder übel lernen musste. Anders wäre es nicht gegangen.

Eigentlich bin ich froh, dass es jetzt Wut ist, die durch diese unangebrachten Reaktionen ausgelöst wird und nicht Verletztheit. Wut ist deutlich aktiver als zum Beispiel Trauer. Wut kann mich dazu bringen, etwas zu verändern. Ins Tun zu kommen, ins Gestalten. Und vielleicht ist es dafür wieder mal Zeit. Zeit, über die Bücher zu gehen.

Meine Eltern bleiben meine Eltern. Aber ganz ehrlich? Ich werde nicht mehr so offen sein und ihnen mein Innerstes anvertrauen. Sie haben mich enttäuscht.

Meine Freundin hat Dinge gesagt, die nicht okay waren. Das habe ich ihr auch deutlich gespiegelt. Und das war bestimmt richtig, denn sonst lernt sie es ja nie. Als sie dann fast darum bettelte, an meinem Geburtstag anrufen zu dürfen und ich keine Lust darauf hatte, am Ende aber dennoch nachgab, merkte ich: da hat sich etwas verändert. Schade für sie! Aber manche Dinge haben eben Konsequenzen. Ich möchte nicht mehr an meinem eigenen Geburtstag anderen Menschen zuliebe mit ihnen telefonieren müssen. Wenn, dann aus freien Stücken. Und sonst? Vielleicht an einem anderen Tag. Oder sehr viel später.


PS: Irgendwie scheint mir, nachdem ich das alles runtergeschrieben habe, dass im Grunde ein Text fällig wäre mit Leitplanken für unsere Angehörigen und Freunde. Es gibt schon einen, der etwas älter ist, eine Übersetzung eines englischen Blogartikels aus den USA. Aber jetzt, glaube ich, wäre ich so weit, dass ich selber was zusammenstellen könnte… wäre das was?

Foto: Elaine

Elaine

lebt in der Schweiz. Sie liebt die Natur, besonders im Frühling. Sie mag Spaziergänge, Wanderungen, die Berge, das Meer, Bücher, Kunst, Flohmärkte, Brockenhäuser.

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