Mitten drin
von Elaine, über Leben, Frauen ohne Kinder, Medien
Schlafen, essen, arbeiten. Dazwischen mit einem lieben Menschen telefonieren und Nachrichten beantworten. Versuchen, an die frische Luft zu kommen. Ateliertage und die monatliche Austauschrunde mit befreundeten Künstler*innen, Blogeinträge auf drei verschiedenen Plattformen und immer wieder Organisatorisches. Mit meinem Mann streiten, weil wir beide so erschöpft sind. Uns wieder versöhnen. Die Yogastunde am Montag, die mir so gut tut, Besorgungen erledigen, Essen kochen, den Garten jäten, einer Freundin, die sich von einer OP erholt, eine Karte und eine Zeitschrift schicken, noch mehr arbeiten und essen und schlafen. Vor allem arbeiten und essen und schlafen. So kommt es mir jedenfalls vor. Der Alltag kann einen sehr vereinnahmen.
Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich denke: “Wenn das und das überstanden ist, wird es besser.” Und ich ertappe mich dabei, wie ich mir wünsche, drei Wochen nach vorne spulen zu können, weil es anstrengend ist und ich schlecht schlafe. Dabei habe ich ja nur dieses eine Leben, und eigentlich will ich nicht, dass es schneller geht. Nur diese Intensität, manchmal ist sie mir zu viel.
Mitten in all dem kommt es immer mal wieder vor, dass mich etwas überrascht, berührt oder erfreut. Und das sind dann ganz besondere Momente. Zum Beispiel taten das:
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Die jungen Kätzchen auf dem Hof einer Freundin. Kleine Flauschknäuel, die tapsige Gehversuche unternehmen und sich mit ihren Krallen in unseren T-Shirts verhaken, wenn wir sie halten.
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Dieses Lied. Keine Ahnung, woran es liegt, dass französische Musik mir so nahegeht. Das Lied hörte ich einen Abend lang in Endlosschlaufe.
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Ein Abendessen im Garten. Weil sonnige Tage so selten und daher umso wertvoller waren. Wie die niedrig stehende Sonnem durch das Beet voller Fingerhut leuchtete. Die letzten Iris. Dass die “Jungfer im Grünen” sich selbst ausgesät hat. Eine Blume, die ich ihrer Zartheit wegen besonders gerne mag.
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Diese rec-Sendung zum Thema ungewollte Kinderlosigkeit (deutsche Untertitel lassen sich unten rechts aktivieren) und das Q&A dazu.
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Das intensive Gespräch mit einer ehemaligen Klassenkameradin, die ich am 25-jährigen Jubiläum unserer Maturfeier traf. Es stellte sich heraus, dass sie auch Endometriose hat. Wie sehr es sich manchmal lohnt, offen zu sein und sich verletzlich zu machen. Wie wertvoll dieser Austausch war. Sie hat heute Zwillinge. War aber eine ganze Weile lang sehr überfordert damit. Früher hätte ich dafür kein Mitgefühl gehabt. Da wäre mein Gegenüber in der Schublade gelandet “hat Kinder”, ach, der geht’s ja gut. Aber nein, so ist das nicht, nicht immer. Ich glaube, das haben mich die letzten zehn Jahre auch gelehrt. Dass nicht alles so ist, wie es scheint. Und dass die Grautöne überall zu finden sind.
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Die erste volle Schale mit Himbeeren aus dem Garten. Luxus pur.
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Die Fahrt mit dem E-Bike zu einem Termin bei meiner Psychologin, die ich jetzt so viel seltener sehe. Mit dem E-Bike, weil der ÖV-Fahrplan um diese Zeit eine Lücke hat, vorbei an Mohnfeldern und Bauernhöfern, quer über die Hügel. Im Zickzack, weil ich mich immer wieder verfahre und umkehre. Egal. Ich komme total aufgeräumt bei der Psychologin an und bin nach einer weiteren Stunde Rückfahrt überaus dankbar. Dafür, es mit dem E-Bike versucht zu haben. Dafür, dass die Fahrt so schön war und so gut tat. Eine Erinnerung daran, wieder öfter nach draussen zu gehen und mich zu bewegen.
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Der Duft der frisch gewaschenen Gardinen, nachdem ich es (endlich) geschafft habe, die Fenster zu putzen.
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Diese Toast-Ei-Speck-Muffins, die wir für einen Brunch zubereiteten. Wir liessen den Senf weg und schnitten den Toast rund aus (mit Hilfe einer kleinen Schale), damit die Ecken nicht so abstehen. Die Muffins kamen besonders bei den Kindern gut an, da man sie direkt aus der Hand essen kann, schmeckten aber auch den Erwachsenen. Aus den übriggebliebenen Toastschnipseln machten wir ein paar Tage später Croutons für in den Salat ;-).
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Die Energie, die ich nach einer Joggingrunde verspüre. Zugegeben, ich schaffe das nicht mehr so häufig wie früher. Aber wann immer ich es schaffe, tut es unendlich gut.
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Dieses Interview mit Elke Heidenreich. Sie gibt mir eine bessere Perspektive für mein eigenes Älter-Werden, als es meine Eltern tun können, deren Leben sich vor allem um ihre Enkel dreht. Ich mag die positive Einstellung von Frau Heidenreich und ihre Begeisterung für Bücher.
Da sind immer noch Erweiterungen. Der Komfortzone. Und die sind per Definition nicht bequem. In meiner Lohnarbeit tue ich noch immer Dinge zum ersten Mal. Arbeite zum ersten Mal mit einer Person zusammen, die wochenlang Mails nicht beantwortet, weil sie einfach nicht hinterherkommt. Eine nette Person, die aber Termine vergisst, Entscheidungen mehrmals rückgängig macht undsoweiter. Ich lerne, an meinen Chef zu eskalieren, lerne, dass es dennoch Menschen gibt, die unendlich hilfsbereit sind. Meine Bürokollegin, die mich mit Tartufi aufmuntert und zur Stelle ist, wenn es ein zweites paar Hände braucht. Mein Kollege, dessen Vertrauen ich inzwischen gewonnen zu haben scheine, der gerade in Abklärungen bezüglich einer Krebserkrankung steckt, er fragt, ob ich in die Kaffeepause komme, und das tut er sonst nie. Kurzfristig müssen Abwesenheiten überbrückt werden, der Chef springt ein, es ist für ihn gar keine Frage. Da sein, zuhören. Viel arbeiten. Viele Mails beantworten. Alles miteinander, durcheinander, hintereinander. Abends so erschöpft sein, dass jede Textnachricht, jede kleinste Anforderung zu viel ist. Stolz darauf sein, das Pulver für den Geschirrspüler gekauft zu haben, weil keines mehr da war. Und dennoch ein paar Augenblicke im Garten geniessen können, weil es jetzt so lange hell ist. Die Süsskartoffelsetzlige giessen, die mein Chef mir mitgebracht hat. Auch das keine Selbstverständlichkeit.
Dieses Nebeneinander: Anstrengendes, Nervenaufreibendes, Trauriges, aber auch Herzerwärmendes, Menschliches, Schönes. Der Sommer steht bevor. Ich bin ja nicht so die Hitzefreundin. Doch gegen ein paar langsamere Wochen hätte ich jetzt nichts einzuwenden :-).
Wir sind mitten drin in diesem Jahr.
Wie tut das Leben bei Euch gerade so?
Foto: Elaine
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