Sommer
von Elaine, über Leben, Ungewollte Kinderlosigkeit, Selbstfürsorge
Diesen Sommer darf ich nicht “richtig” Ferien machen, sagen mir meine Kolleginnen, weil Anfang September etwas Grosses bevorsteht. Und es ist wahr, ich habe auch jetzt im Sommer, wo es normalerweise ruhiger wäre, genug zu tun. Da ich jedoch nicht von April bis Oktober durcharbeiten kann, schiebe ich trotzdem ein paar Ferientage ein, ganz Anfang Juli, knapp vor den Schulferien.
Mein Mann und ich verbringen die Tage am See, schlafen und lesen viel, kaufen im Hofladen frisch gepflückte Kirschen, Erdbeeren und eine Handvoll zarte Erbsen, die wir direkt aus den Schoten genüsslich roh verzehren. Wir schauen die EM-Spiele, mein Mann (fast) alle, ich nur diejenigen der Schweiz, essen Pommes in der Strandkneipe, unternehmen an einem Regentag einen Ausflug in eine Stadt in der Nähe. Ich bin ganz beglückt, als ich alles finde, wovon ich gerade Nachschub brauche, teilweise mit 50% Rabatt. Ich schreibe Postkarten an meine Patenkinder, wir essen Buchweizen-Crêpes, setzen uns in ein Café, wo mein Mann liest und ich in mein kleines Skizzenbuch zeichne. Ein einziger warmer Strandtag ist dabei, an dem ich mich in den See getraue. Das Wasser ist kalt, so dass es bei wenigen Schwimmzügen bleibt.
Die kleine Auszeit tut gut, auch wenn sie nicht ganz harmonisch ist. Zwei Tage sind dennoch randvoll mit Glück. Da erfreue ich mich an den Früchten der Saison, am Blick auf den See bei meinen Spaziergängen, an den jungen Schwänen, Blässhühnern und Haubentauchern, am Wind, der mich an den Norden erinnert, am veganen Eis, daran, wie das Türkis meines praktischen neuen Microfaser-Badetuches mit den Farben der faltbaren Tasche aus Fallschirmstoff harmoniert, die mir als Strandtasche dient, und mit dem Blau des Sees dahinter.
Danach kehre ich ins Büro zurück, jedoch nicht ins Atelier – dort mache ich nämlich Sommerpause. Die freien Tage nutze ich, um meine Fitness etwas zu verbessern, vielleicht mal einen Ausflug zu unternehmen und daheim gemütlich Dinge zu erledigen, die liegengeblieben sind. Ich sehe die Vorräte im Keller durch, reinige meine Sandalen vom letzten Jahr in der Hoffnung, sie so etwas länger tragen zu können, wasche die Wohnzimmervorhänge und endlich auch meinen Wintermantel und das schwarze Wolljäckchen. Seit dem Frühling war es freitags ganze zwei Mal trocken gewesen. Und da der Freitag mein Putz-, Wasch- und Einkaufstag ist, musste ich warten, bis ich die triefenden Sachen an der Sonne ausbreiten kann. Ich bringe die warmen Daunendecken und unseren Wohnzimmerteppich in die Reinigung. Kleine Dinge, die mir aber ein gutes Gefühl vermitteln. Manches hatte schon lange als “To do” in meinem Hinterkopf geschlummert. Auch Erleichterung ist Glück!
Ich treffe mich mit einer Freundin zu einer Mini-Feierabendwanderung auf einen Hügel, auf dem wir beide bisher noch nicht waren. Wir führen nährende, wohltuende Gespräche. Was meinen Bruder und dessen Babyspam im Familienchat angeht, ermöglicht sie mir einen ganz neuen Blick auf die Situation: Interessanterweise freut sie sich über meine Wut und fragt, ob er mit diesem überschwänglichen Glück vielleicht etwas kompensieren müsse? Ich denke nach und antworte dann, dass er seine Arbeit nicht mag, jedoch grossen Stress hat dort, und dass seine Ehe auch nicht ganz so harmonisch ist. Zum ersten Mal komme ich auf die Idee, von der Emotion auf das darunterliegende Bedürfnis zu schliessen und, da mein Bruder meine Grenzen ausdrücklich nicht respektieren will (denn darum hatte ich ja gebeten, was es noch viel schlimmer macht), eine Handlung meinerseits trotzdem in Betracht zu ziehen. Handlung bedeutet Verantwortung übernehmen, nicht mehr Opfer sein. Vielleicht werde ich den Familienchat tatsächlich verlassen oder mir eine digitale Auszeit nehmen, wenn er mir weiterhin nicht gut tut. Bereits beim Gedanken daran fühle ich mich weniger ausgeliefert, selbst wenn ich es schade fände, aus dem Chat auszutreten, da ich dadurch einiges verpassen würde. Der Hinweis darauf, dass mein Bruder möglicherweise überkompensiert, hilft, so dass dieser Schritt vielleicht gar nicht mehr nötig sein wird. Wir finden eine Bank mit Blick auf die Voralpen und verzehren unser Picknick, bevor wir uns verschwitzt, aber zufrieden auf den Rückweg machen.
Mein Mann und ich pflücken Gartenbeeren und kochen daraus Gelée, ich sortiere meine Kleider und Bücher aus, schaffe es endlich, an einer Führung durch eine Institution in der Nähe teilzunehmen, die ich schon ewig von innen hatte sehen wollen, mühe mich im Rahmen einer Sommeraktion im Fitness ab – ein Versuch meinerseits, etwas sportliche Routine aufzubauen – und schaffe es endlich, unseren alten Wäschesammler und einen angeschimmelten Koffer zu entsorgen, die seit einem Jahr im Keller herumstehen. Der ruhigere Rhythmus durch die Atelierpause tut mir gut. Muskelkater inklusive ;-)!
Lebensglück ist die Gesamtheit des kleinen Glücks, sagt Elke Heidenreich. Auch wenn nicht alle Tage gleich unbeschwert sind, bin ich dankbar für die Momente, an denen es mir gelingt, mich über die kleinen Dinge zu freuen.
Und bei Euch?
Wie läuft Euer Sommer so?
Foto: Elaine
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