Elaine ohne Kind

Über den Abschied vom Kinderwunsch und das Leben danach

Sonntag

19

März 2023

Vom Gefühle-Fühlen

von Elaine, über Trauer, Abschied vom Kinderwunsch, Reproduktionsmedizin, Weisheit, Heilsam

Diesen Text schrieb ich Ende Jahr, bevor ich meine neue Stelle antrat. Inzwischen ist einiges geschehen, und so wurde dieses Thema etwas in den Hintergrund gedrängt. Trotzdem wollte ich es Euch nicht vorenthalten…


“Gefühle wollen gefühlt werden.” Diesem Satz bin ich relativ bald begegnet, als ich mich in der Blogosphäre zum Thema “Abschied vom Kinderwunsch” umzusehen begann. Ich weiss nicht mehr genau, wo ich ihn aufgeschnappt habe, aber vermutlich inhaltlich gesehen nicht nur an einem Ort. Lesley Pyne, eine Bloggerin und Autorin aus England, schrieb bereits damals recht offen darüber, dass es ihr durch das Verdrängen ihrer Trauer um die Kinder, die sie nie haben würde, jahrelang schlecht gegangen war. Erst beim Tod ihres Vaters wurde ihr bewusst, dass sie um das ungelebte Leben als Mutter ebenfalls trauern musste, damit es ihr besser gehen konnte. Und das nahm ich mir damals sehr zu Herzen. Ich wusste, dass ich “da durch” wollte, also durch die Trauer, um auf der anderen Seite wieder herauszukommen.

Und trotzdem gelang es mir nicht auf Anhieb, die Trauer “zu umarmen”. Denn natürlich tauchte sie auch in Situationen auf, in denen es nicht passend gewesen wäre, vor allen loszuheulen. Selbst zu Hause ertappte ich mich dabei, dass ich mich selbst zurechtwies: Jetzt stell dich nicht so an. Es gibt so viel, wofür du dankbar sein kannst… Aber das war nicht besonders hilfreich, wie ich merken musste. Wenn ich die Trauer wegdrückte, meldete sie sich umso heftiger zurück. Also lernte ich, Schritt für Schritt, die Trauer zu fühlen. Was definitiv weder lustig noch angenehm war! Und doch so unglaublich wichtig. Denn wenn man durch die akute Trauer durch ist, kommt man auf der anderen Seite verändert heraus. Zumindest bei mir war es so. Die Trauer bewirkt eine Art Transformation. Was, wie ich gerade merke, ein eigenes Thema für sich wäre. Für einen anderen Tag und einen anderen Blogeintrag ;-).

Falls Ihr hier schon eine Weile mitlest, dann wisst Ihr, dass die Wellen meiner Trauer mit der Zeit weniger hoch wogten und die Abstände grösser wurden. Darüber habe ich schon viel geschrieben. Was ich jedoch noch ergänzen möchte, ist, dass das Fühlen von Gefühlen sich ganz allgemein lohnt. Warum?

Nun, es ist meist so, dass in unseren Herkunftsfamilien nicht alle Gefühle gleich willkommen sind. Freude ist meistens okay :-). Aber Wut und Angst waren dies bei mir zum Beispiel sehr viel weniger. Wütend sollte man am besten nicht werden. Und Angst durfte man auch nicht haben. Emotionale Intelligenz ist leider etwas, was in unserer Gesellschaft kaum gelehrt wird. Dabei haben alle Gefühle ihre Berechtigung und können, wenn uns ein guter Umgang mit ihnen gelingt, als positive Kraft genutzt werden.

Wenn ich etwas feststellen musste, dann dies: dass die Gefühle, die wir nicht bewusst fühlen oder denen wir nicht zuhören, mit der Zeit ziemlich aufdringlich werden können. Und das dann in Momenten, die uns nicht unbedingt passen! Der Klassiker ist wohl die Wut, die, wenn sie sich über einen zu langen Zeitraum anstaut, zu einer unverhältnismässig grossen “Explosion” führen kann. Statt dass man die Dinge vorzu immer in Angriff nimmt, die man als ungerecht empfindet. Sind wir ehrlich: gibt es ein Mädchen, das als Kind einen gesunden Umgang mit der Wut vermittelt bekommt? Nein, wir sollten doch immer lieb und brav sein, oder nicht? Dabei sind gesunde Grenzen wichtig. Wut ist wichtig. Damit wir uns wehren können.

So bin ich jetzt, mit 43 Jahren, erst dabei, das Gefühle-Fühlen zu üben. Bei der Trauer habe ich schon etwas Vorsprung ;-). Aber bei Angst und Wut bin ich Anfängerin.

Seit OP und Kinderwunschbehandlung litt ich unter dauerhafter Anspannung und Schlafproblemen. Davon habe ich hier und hier bereits berichtet. Lange dachte ich, ich hätte mich selbst schlicht überfordert mit OP und Behandlung. Nun ja, ich habe mir tatsächlich auch sehr viel zugemutet. Vor allem habe ich wohl zu viel alleine getragen, weil ich meinen Mann nicht belasten wollte und niemals auf die Idee gekommen wäre, meine Familie um Hilfe zu bitten. Ich erzählte damals kaum jemandem davon. Mein Vater war kürzlich total geschockt, als ich erwähnte, dass ich mir ein Jahr lang selbst Hormonspritzen gesetzt hatte. Was? Ein Jahr lang? Ja, ein Jahr lang. Verbunden damit waren auch viele Arzttermine, die mich jedes. einzelne. Mal. nervös machten. Hallo chronische Anspannung!

Ich habe vieles probiert, um die Schlafproblematik und diese diffuse Anspannung in den Griff zu bekommen. Zuerst nahm ich notgedrungen Tabletten, um zu funktionieren. Später ging ich zu einer Psychologin. Und zur Atemtherapie. Letzteres auf Empfehlung der Psychologin hin. Und das war auch die richtige Spur. Denn tatsächlich speichert unser Körper Dinge ab. Naheliegend sind natürlich Traumata, die durch OP oder Behandlung entstehen können. Das ist nachvollziehbar, denn es bleiben je nachdem physisch sichtbare Narben zurück. Aber auch Gefühle, die wir nicht auf gesunde Weise verarbeiten, zeigen sich irgendwann im Körper.

Meine neuste Erkenntnis ist, dass die Angst, von der ich nicht gewusst hatte, dass und wie ich sie fühlen soll, sich in Form von Anspannung bei mir eingenistet hat. In der Bauchregion. Denn Nervosität ist nichts anderes als Angst. Angst, dass die Zeit nicht reicht, Angst vor Versagen, vor Ablehnung, vor dem Unbekannten, etc.

So übe ich, die Angst in meinem Bauch wirklich wahrzunehmen, wenn sie anklopft. Ich lege dann die Hand auf den Bauch. Ich gebe ihr Raum. Höre ihr zu. Ich fühle sie. Soll ich Euch etwas verraten? Sie ist gar nicht so schlimm, wie ich immer dachte. Die Angst vor der Angst war schlimmer! Denn sobald die Angst die nötige Aufmerksamkeit bekommt, ist ihr Job erledigt. Und tschüss! Für mich ist es enorm befreiend, einen Umgang damit zu finden! Tatsächlich werden die Momente der Anspannung schon sehr viel weniger.

Warum schreibe ich das hier? Weil ich dachte, dass dies für einige von Euch vielleicht auch hilfreich sein könnte. Anspannung und Schlafprobleme scheinen leider relativ verbreitet unter Frauen, die in Kinderwunschbehandlung waren.

Könnt Ihr mit all dem etwas anfangen? Oder klingt das ein bisschen seltsam?

Foto: Elaine

Elaine

lebt in der Schweiz. Sie liebt die Natur, besonders im Frühling. Sie mag Spaziergänge, Wanderungen, die Berge, das Meer, Bücher, Kunst, Flohmärkte, Brockenhäuser.

Um anonym zu kommentieren: Kommentar schreiben, Pseudonym und E-Mail in die Felder eintragen und bei "Ich möchte lieber als Gast schreiben" das Häkchen setzen.