Elaine ohne Kind

Über den Abschied vom Kinderwunsch und das Leben danach

Mittwoch

28

März 2018

Was ist ein gutes Leben?

von Elaine, über Ungewollte Kinderlosigkeit, Hoffnung, Gesellschaft

In den letzten Wochen fühlte sich mein Leben so an, wie es das jahrelang nicht getan hatte: nämlich fast ein wenig zu voll. Ich muss vielleicht erklären, was ich damit meine. Es hat nur zum Teil mit der Anzahl Termine zu tun. Sondern viel mehr mit so etwas wie Fülle. Viel oder zu viel hatte es immer sein können, auch in der Behandlungszeit oder der Trauer. Weil ich da mit meinen Kräften haushalten musste. Aber das fühlte sich nicht unbedingt “voll” an, sondern manchmal, als wäre da ein grosse Lücke, als bestünde das Leben hauptsächlich aus Warten auf unsere Kinder, obwohl parallel dazu noch ganz viel anderes los war. Nur zählte das in meiner Wahrnehmung irgendwie nicht. Weil eine einzige, für uns wichtige Sache eben NICHT passierte. Den übrigen Reichtum meines Lebens sah ich nicht. Für mich war er praktisch gar nicht vorhanden.

Was das Sozialleben angeht, so bekam praktisch unser gesamter Bekanntenkreis Kinder, sofern diese nicht bereits da waren. Wo soll ich nur anfangen? Vielleicht bei den Geburtsanzeigen, die bei uns ohne Unterbruch in den Briefkasten flatterten? Uh, das war schwer. Unendlich schwer. Im Abschied vom Kinderwunsch brauchte es deshalb eine Neuorientierung, auch was die zwischenmenschlichen Kontakte anging. Weil mir das Universum der Mütter zu gewissen Zeiten mehr schadete als etwas anderes. Darüber habe ich hier auch schon geschrieben.

Am Anfang war das schwierig. In der Trauer strahlt man wohl nicht gerade das aus, was neue Freundschaften begünstigt. Ich fühlte mich daher oft alleine. Mein Wunsch war es, mehr Frauen kennenzulernen, die auch keine Kinder hatten, damit ich nicht dauernd vor Augen geführt bekommen musste, was ich NICHT hatte. Und auch, weil der Mensch einfach einen gewissen Austausch braucht. Wir sind schliesslich soziale Wesen. Ich kam mir phasenweise recht asozial vor. Weil ich an gewisse Orte nicht mehr hingehen konnte oder wollte, aus Selbstschutz. Weil in einer bestimmten Zeit der Rückzug eine Notwendigkeit war. Punkt.

Ich übte mich in Vertrauen. Irgendetwas sagte mir, dass ich diese neuen Menschen und zukünftigen Freunde schon noch kennenlernen würde. Dass es geschehen würde, wenn ich soweit wäre. Aber angenehm war sie nicht, diese Übergangszeit.

Inzwischen habe ich nicht nur über das Bloggen hier ganz tolle andere Frauen ohne Kinder kennengelernt. Nein, mein Mann und ich begegnen plötzlich “einfach so” anderen Paaren, die ebenfalls keine Kinder haben oder haben können. Manche kommen mittlerweile sogar auf uns zu. Ganz natürlich können wir darüber reden, wie das so ist. Was zu Beginn noch eine grosse Sache war, emotional und aufwühlend, wurde irgendwann auch wieder fast normal. Unsere Kinderlosigkeit ist nun eine Tatsache. Nicht mehr und nicht weniger.

Wieso schreibe ich das hier? Weil ich Euch Mut machen möchte. Erstens: von uns Frauen ohne Kinder gibt es viele mehr, als wir meinen. Als ich kürzlich mal schaute, wie oft dieser Blog seit Beginn schon besucht wurde, fiel ich fast vom Stuhl. Ja, wir sind tatsächlich viele! Zweitens: unser Bekanntenkreis verschiebt sich mit den Jahren tatsächlich, und das ganz von allein. Drittens: man kann auch ohne Kinder wieder “satt” werden in Beziehungen. Wir müssen uns nicht mit den Brotkrumen begnügen, die unter den Tisch fallen, wenn die Mütter sich austauschen. Nein. Wir bekommen unser ganz eigenes, reichhaltiges Mahl aufgetischt. Und wir dürfen essen, bis unsere Seele so richtig satt ist.

Mein Leben ist inzwischen unendlich reich. Ich setze bewusst Prioritäten, damit es mir nicht zu viel des Guten wird. Denn da ist tatsächlich mehr Gutes, als in meinen 24 Stunden Platz hat. Kaum vorstellbar, wenn man in der Trauer steckt, gell?

Kürzlich verbrachte ich ein Wochenende bei der Familie meines Patenkindes. Im Vorfeld war ich etwas besorgt um mich selbst. Ich wusste nicht, ob mir das zu viel sein würde, emotional und überhaupt. Am Freitagabend hatten mein Mann und ich einen kulturellen Anlass besucht. Am Samstag reisten wir zum Patenkind, assen und übernachteten dort, am Sonntagnachmittag besuchten wir ein Kindermusical - ein Geschenk von mir an das Patenkind. War das anstrengend? Ja, ich gebe es zu. Aber es war okay.

Als wir nach Hause zurückkehrten, erhielten wir zusätzlich noch Besuch: eine Familie mit zwei Kindern, davon eines ein zartes Baby. Ich schaute es mir an und fand es süss. War entzückt darüber, wie es seinen Papa anlächelte. Ohne dass es in mir drin gezogen oder geschmerzt hätte. Das wäre vor ein oder zwei Jahren noch ganz anders gewesen. Bestimmt hätte dies die für mich erträgliche Dosis emotional überschritten. So viel Familien und Kinder an einem Wochenende. Wow. Aber es ging nicht nur, es ging sogar gut.

Als der Besuch aufgebrochen war und wir die Wohnung aufräumten, erfüllte mich eine tiefe Dankbarkeit. Weil ich jetzt wieder mit allen kann: mit denen ohne und denen mit Kindern. Gar mit den kleinsten, die bei mir noch bis vor kurzem so viele anstrengende Gefühle ausgelöst hatten. Jetzt nicht mehr.

Das ist es, ein gutes Leben, dachte ich an dem Abend. Und fragte mich, wie man ein gutes Leben überhaupt definiert. Was meint Ihr?


Übrigens: ein kleiner Schritt hin zu einem guten Leben könnte es sein, das zweite OK-Frauen-Seminar von Regula am 14. April zu besuchen. OK steht in diesem Fall für “ohne Kind”. Für alle, die andere ungewollt kinderlose Frauen treffen und sich mit dem Thema gedanklich auseinandersetzen möchten. Ich finde es toll, dass Regula ein solches Seminar anbietet und mache daher gerne ein bisschen Werbung für sie :-)!

Foto: Elaine

Elaine

lebt in der Schweiz. Sie liebt die Natur, besonders im Frühling. Sie mag Spaziergänge, Wanderungen, die Berge, das Meer, Bücher, Kunst, Flohmärkte, Brockenhäuser.

Um anonym zu kommentieren: Kommentar schreiben, Pseudonym und E-Mail in die Felder eintragen und bei "Ich möchte lieber als Gast schreiben" das Häkchen setzen.


Copyright 2016 by Elaine