Elaine ohne Kind

Über den Abschied vom Kinderwunsch und das Leben danach

Dienstag

18

Juli 2023

Eine Verkündigung

von Elaine, über Ungewollte Kinderlosigkeit, Gesellschaft, Trauer

Diesen Sommer waren wir an mehrere Parties eingeladen. Zwei davon waren gemütlich und schön, ganz ohne schwierige Momente oder Haken. Einfach nur zum Geniessen. Ich dachte schon: Juhu – ich kann das wieder! Einen Abend lang mit Menschen, die ich kenne oder nicht kenne, draussen sitzen, essen und reden und mich weder fremd fühlen noch den Abend nur überstehen. Allerdings verlief das dritte Fest, ein 60. Geburtstag, etwas weniger gut. Ich hatte eine anstrengende Woche hinter mir, etwas zu viel los, zu wenig geschlafen und dazu noch die Mens. Mir fehlte der Freiraum, ein halber Tag ganz für mich, ein paar erholsame Nächte. Aber das alleine war noch nicht das Problem.

Zuerst kam eine Frau zu mir, die als Kind mit ihrer Familie die Ferien häufig mit meiner Schwiegerfamilie verbracht hatte, und stellte sich vor. Sie hat eine kleine Tochter von zwei Jahren, die erst nach fünf Jahren und mit Hilfe der Reproduktionsmedizin zur Welt gekommen war. Nun gibt es aus dem Umfeld bereits Fragen nach einem Geschwisterchen, und darunter leidet sie. Ich sagte ihr geradeheraus, dass ich diese Fragen daneben finde. Ich verstehe, dass das schlimm ist. Sie konnte mir also ein Stück weit nachfühlen und ich ihr auch. Dennoch trennen uns heute in unserem Alltag Welten. Mutter oder Nicht-Mutter zu sein, das ist trotz einer vielleicht ähnlichen Vergangenheit ein Unterschied. Ich lernte noch andere Menschen kennen, darunter mehrere Frauen, die malen und kreativ tätig sind. Das war sehr spannend; wir redeten sogar davon, einen gemeinsamen Maltag zu organisieren :-)!

Irgendwann wurden wir in unseren Gesprächen unterbrochen. Das Geburtstagskind wollte etwas sagen. Sie begann so: “Hoffentlich fange ich nicht gleich an zu weinen!” Dann erzählte sie, dass sie soeben erfahren habe, dass ihre Schwiegertochter schwanger sei, und dass das für sie ihr grösstes Geburtstagsgeschenk sei. Sie hätten soooo lange auf dieses Kind gewartet. Alle klatschten und freuten sich. Anscheinend war dies im Freundeskreis bekannt und die Menschen hatten mitgefiebert. Ich weiss nicht, wieso, aber ich fand mich plötzlich in einer Situation wie seit vielen Jahren nicht mehr: Ich konzentrierte mich auf meinen Teller und darauf, das Essen mit dem Messer auf die Gabel zu schieben. Ich schaute möglichst nicht auf und niemandem in die Augen. Der Moment verging. Etwas später setzte sich die Gastgeberin zu uns an den Tisch und entschuldigte sich bei mir für diese Szene – vor allen anderen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, und zuckte einfach mit den Schultern. Einerseits ist es ja schön, dass ihr im Nachhinein bewusst wurde, dass diese Verkündigung für mich schwierig gewesen sein könnte, aber die öffentliche Entschuldigung selbst war auch nicht viel besser.

Nach dem Essen, das auf einem Bauernhof stattfand, gab es die Möglichkeit einer Lamawanderung. Unter anderen Umständen hätte ich das toll gefunden und wäre sehr gerne mitgelaufen. Aber nun war ich vor allem eines: emotional erschöpft. Ich wollte nur nach Hause. Da der Hof abgelegen war, gestaltete sich das nicht ganz einfach. Wie waren mit dem Auto des Schwagers mitgefahren. So liefen mein Mann und ich 35 Minuten zu Fuss bis zum nächsten Bahnhof, mein Mann unzufrieden und wütend, weil er gerne geblieben wäre, aber das Gefühl hatte, mir das nicht sagen zu können. Es wurde eine sehr unangenehme, längere Rückreise, und als wir daheim ankamen, kam es zum Streit. Seine Bedürfnisse und meine Bedürfnisse… offensichtlich waren sie an dem Tag nicht ganz kompatibel. Sein Verständnis mir gegenüber war begrenzt, und ich meinerseits hätte vielleicht besser alleine den Rückweg antreten sollen. Schade, dass wir das nicht früher herausgefunden hatten!

Das Fest fand an einem Samstag statt und ich hatte noch Wäsche im Keller hängen. So ging ich nach unserer Rückkehr hinunter, nahm sie von der Leine und faltete sie. Dies tue ich jeweils auf dem zusammengeklappten kleinen Wäscheständer, der mir als improvisierter Tisch dient. Ich türmte die Wäsche immer höher und als ich fast fertig war, kippte das Ganze um, zuunterst die weisse Abdeckung unseres Wohnzimmersessels, die ausgerechnet in die staubigste und spinnwebenbehangenste Ecke fiel. Schöne alte Häuser haben auch Nachteile – sie sauber zu halten, wäre ein Vollzeitjob!

Ich trug die nicht mehr sauber gefaltete, sondern nun zerknitterte und teilweise schmutzige Wäsche hoch in die Wohnung und brach in Tränen aus. Es erinnerte mich an die Jahre, als die Trauer um unsere Kinder, die nie sein würden, noch akut gewesen war und sich das Zusammensein mit anderen Menschen wie ein Spiessrutenlauf angefühlt hatte.

Dass mich das alles so sehr traf, verwirrte mich im ersten Moment. Aber die kurze Schwangerschaft und Fehlgeburt Anfang Jahr haben wohl vieles wieder aufgewirbelt. Meine Psychologin, die ich nur noch sporadisch sehe, meinte, dass ich auf keinen Fall denken solle, ich stünde wieder am Anfang. Die emotionale Arbeit der letzten acht Jahre war nicht umsonst. Ich habe mir vieles erarbeitet. Tatsächlich hätte mich eine solche Begebenheit vor sechs oder sieben Jahren für mehrere Tage in ein tiefes Loch katapultiert. Das ist jetzt nicht mehr der Fall. Und das macht mich dankbar. Dennoch ist dieses Jahr emotional aufwühlender und komplizierter, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich bin froh, dass ich die erste Hälfte von 2023 hinter mir habe!

Aber nun zur Frage:
Habt Ihr auch schon solche öffentliche Schwangerschaftsverkündigungen erlebt?
Und falls ja, was hat das mit Euch gemacht?

Foto: Elaine

Elaine

lebt in der Schweiz. Sie liebt die Natur, besonders im Frühling. Sie mag Spaziergänge, Wanderungen, die Berge, das Meer, Bücher, Kunst, Flohmärkte, Brockenhäuser.

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