Elaine ohne Kind

Über den Abschied vom Kinderwunsch und das Leben danach

Montag

16

September 2019

Katharinas Geschichte

von Elaine, über Abschied vom Kinderwunsch, Welt-Kinderlosenwoche, Frauen ohne Kinder

Es ist Welt-Kinderlosenwoche, und aus diesem Anlass haben einige von Euch mir ihre Geschichten zugesandt, was mich wahnsinnig freut! Herzlichen Dank dafür.

Den Anfang der Serie macht Katharina. Ich lasse sie gleich selber zu Wort kommen:


Mein Name ist Katharina, ich bin 41 Jahre alt, ungewollt kinderlos und sehr zufrieden mit meinem Leben.

Die Reise für meinen Mann und mich begann vor sechs Jahren: Endlich waren wir bereit für ein Kind. Ich wollte erst beruflich abgesichert sein (diese blöden Glaubenssätze!), bevor ich offen dafür war ein Baby zu bekommen. Wir hatten es kaum zwei Monate versucht und ich wurde schwanger! Diese Hormone! Dieses unglaubliche Glücksgefühl! Was für wundervolle, friedliche Tage voller Sehnsucht. Diese erste Schwangerschaft (auch wenn sie sehr kurz war) gehört zu meinen schönsten Erinnerungen. Bis zu dem Tag als ich endlich den Termin bei meiner Frauenärztin hatte. Mein Mann und ich waren so voller Vorfreude, doch dann kam das Erwachen: eine Fruchthöhle war im Ultraschall zu sehen, aber kein Embryo. Was für ein Schock! Trotzdem habe ich immer noch fest daran geglaubt, dass wir ganz bestimmt eine Woche später unser Baby im Ultraschall sehen würden. Diese Woche war lang, gefühlsmäßig ein Auf und Ab, zwischen Freude und Bangen – aber ich war sooo zuversichtlich. Wir haben es unseren Familien erzählt und unseren engsten Freunden (was ich danach so früh nie wieder gemacht habe). Ich habe oft gegoogelt und im Internet so viele Frauen gefunden, die davon berichteten, dass sich der Embryo bei ihnen nur versteckt hatte und sie jetzt ein gesundes Kind im Arm hielten. Ich musste also einfach nur geduldig sein.

Eine Woche später saßen wir wieder im Wartezimmer – nicht mehr ganz so entspannt wie beim ersten Mal. Sondern mit schweißnassen Händen, aber voller Hoffnung. Meine eigentliche Ärztin, die so wundervoll empathisch ist, war nicht da, sondern nur eine Vertretung. Wir hatten zuvor durch Zufall mitbekommen, dass ihre Tochter an diesem Tag ihren Abiball hatte und völlig verständlich hatte sie andere Dinge im Kopf als sich darum zu kümmern, wie fassungslos wir waren als sie verkündet hat, dass sie noch immer kein Embryo sieht im Ultraschall. Ratlos blieben wir zurück. Wir sollten eine Woche später nochmals vorbei schauen. Das Gedankenkarussell war angeschmissen und ich habe von diesem Zeitpunkt an nicht mehr viel Hoffnung gehabt: Innerlich war ich wie erstarrt. Keine Ahnung, wie ich meinen Alltag bewältigt habe und mir auf der Arbeit nichts habe anmerken lassen – überhaupt, sich im Job nichts anmerken zu lassen war mit am schwierigsten.

Nachdem ich die Fehlgeburt dann hatte (Tja, unser Traum zerplatzte dann endgültig in der 10. Schwangerschaftswoche. Diese Art der Fehlschwangerschaft nennt sich Windei), habe ich schon morgens geweint im Auto auf dem Weg zur Arbeit. Natürlich hatte ich mir nicht lange genug einen Krankenschein geben lassen, weil man ja pflichtbewusst ist, egal wie es einem geht. Ich habe mich vor der Arbeit irgendwann nicht mehr geschminkt, weil ich wusste, dass ich sowieso Weinkrämpfe haben werde im Auto. 40 Minuten am Morgen war dafür Zeit. Dann fuhr ich in die Tiefgarage meiner damaligen Firma, hab mir die Tränen abgewischt, die Nase geschnäuzt, hab mich geschminkt und habe die nächsten acht Stunden so getan als wäre mein Herz nicht gebrochen. Insgesamt vier Mal habe ich diese Windei-Schwangerschaften ertragen müssen, die, wie ich finde, besonders perfide sind: dein Körper stellt sich komplett auf ein Baby ein, mit entsprechenden Hormonen, anschwellenden Brüsten und Übelkeit – aber gleichzeitig wächst da kein Leben in dir, weil die Zellteilung irgendwann auf hört. Ich hatte immer das Gefühl, dass mein Körper mich täuschen will auf eine wahrhaft hinterhältige Art und Weise.

Etliche, zum Teil sehr sehr unangenehme Untersuchungen später – ohne DAS Ergebnis, das ausgesagt hätte, daran liegt es nun und das kann man dagegen tun oder auch nicht – haben mein Mann und ich realisiert, dass wir wohl langsam Abschied nehmen müssen. Und ja natürlich haben wir andere Optionen durchdacht: von Adoption bis zur künstlichen Befruchtung. Nahe Verwandte kommen immer mal wieder um die Ecke mit für uns abstrusen Vorschlägen wie Leihmutterschaft oder Implantierung einer Gebärmutter. Loslassen ist halt für alle Beteiligten schwierig… Dieser anfängliche Schock (nachdem die Erkenntnis so langsam ins Gehirn und ins Herz durchsickerte, das wird wohl nichts mehr) und die Ungläubigkeit, dass uns sowas passiert, ist vergangen. Manchmal denke ich, dass der Schock auch deshalb so groß war für mich, weil ich immer ein weitestgehend selbstbestimmtes Leben geführt habe als Frau in einem europäischen Industrieland: Ich habe studiert, was ich wollte, hatte Beziehungen, die ich wollte, bin gereist, habe im Ausland gelebt und später gutes Geld verdient usw. Und auf einmal gibt es da etwas, worüber ich nicht selbst bestimmen kann, was ich letztendlich so hinnehmen muss als Teil meines Lebens.

Was hat mir geholfen, den schlimmsten Schmerz zu überwinden?

Mich zurückzuziehen, viel zu weinen und meine Wunden zu lecken.

Mit meinem Mann zu reden, viel zu reden – und zu weinen.

Dankbarkeit für das, was ich habe. Ich habe lange ein Dankbarkeitstagebuch geführt, in das ich jeden Abend reingeschrieben habe, für was und für welche Situationen ich dankbar war an diesem Tag.

Herauszufinden, dass ich nicht alleine bin. Elaines Blog zum Beispiel hat mir sofort aus der Seele gesprochen. Und wenn ich das Thema heute in Gesprächen erwähne (was ich ganz lange nur zögerlich getan habe), dann stellt sich immer heraus, dass mein Gegenüber oder jemand aus dem Familien- oder Bekanntenkreis schon mit dem Thema Kinderlosigkeit in Berührung gekommen ist.

Egoistisch zu sein, indem ich nur das getan habe, was mir gerade gut tat. Und ja, eine langjährige Freundin habe ich dadurch verloren, dass ich ganz lange keine kleinen Kinder und Babys um mich herum ertragen konnte. Sie hatte kein Verständnis.

Träume in Erfüllung gehen zu lassen: Wunderschöne Reisen mit meinem Mann, segeln lernen, mich beruflich umzuorientieren.

Achtsamkeit: Jeden Morgen meditieren hilft mir, den Tag von positiven Gedanken erfüllt zu beginnen. Sport machen und in die Natur gehen, so oft es mir möglich ist.

Beruflicher Neuanfang: Zu erkennen, dass ich furchtbar unglücklich in meinem Job war, hat lange gedauert, aber dann gab es kein Zurück. Inzwischen habe ich meine Praxis für Veränderung eröffnet, in der ich als Kinderwunsch-Coach Menschen begleite, die sich auf der Kinderwunschreise befinden (https://praxis-appia.de/). Irgendwann wusste ich, dass ich so viel zu geben habe und anderen Menschen zuzuhören und sie dabei in ihrer Veränderung positiv zu unterstützen (und aus diesem Prozess geht man verändert raus, ob man will oder nicht), das gibt auch mir ein wundervolles, erfüllendes Gefühl. Zudem habe ich einen Podcast gestartet: „Alles da, nur Ella nicht. (Über)Leben ohne Kind“ (in allen kostenlosen Podcast-Apps zu hören). Es war wahnsinnig schwer aus der Anonymität zu treten und der Welt offen zu sagen: Ich bin ungewollt kinderlos und das ist okay. Ich möchte das Schweigen und das Sich-unterlegen-fühlen beenden. Und mir meine Würde zurückholen.

Habe ich meinen Frieden gefunden? Unbedingt! Habe ich noch Trauermomente, wenn ich Kinder sehe, die vielleicht wie unsere Kinder ausgehen hätten? Ja, aber sie werden weniger. Fühle ich mich vollständig, so wie ich bin? Ja! Bin ich dankbar für das, was ich habe? Auf jeden Fall. Trage ich noch immer 8 Kilo Übergewicht aus dieser Zeit mit mir rum? Verdammt ja (aber ich arbeite entspannt daran)! Ich darf ein schönes, wieder selbstbestimmtes Leben führen: ein anderes als ich mir vorgestellt habe, aber deswegen nicht weniger wertvoll.


Liebe Katharina, herzlichen Dank für das Teilen deiner Geschichte. Ich gratuliere dir zu deinem Schritt in die Selbständigkeit und zu deinem tollen Podcast. Ich finde beides ganz wunderbar und wünsche dir von Herzen alles Gute!

Foto oben: Elaine

Elaine

lebt in der Schweiz. Sie liebt die Natur, besonders im Frühling. Sie mag Spaziergänge, Wanderungen, die Berge, das Meer, Bücher, Kunst, Flohmärkte, Brockenhäuser.

Um anonym zu kommentieren: Kommentar schreiben, Pseudonym und E-Mail in die Felder eintragen und bei "Ich möchte lieber als Gast schreiben" das Häkchen setzen.


Copyright 2016 by Elaine